Enerthing liefert Energie aus Kunstlicht – mit Photovoltaikfolien

Das aufstrebende Start-up Enerthing hat Photovoltaikfolien entwickelt, die das künstliche Licht in Gebäuden nutzen, um Strom zu produzieren und so IoT-Geräte mit Energie zu versorgen. Energie 360° unterstützt diese nachhaltige Lösung durch ihren Smart Energy Innovationsfonds mit Venture Capital.

Dr. Martin Lenze, Senior Scientist bei Enerthing kontrolliert in der Produktionshalle die neuste Generation von Enerthings Photovoltaikfolien.

Das Internet of Things (IoT) wächst schwindelerregend schnell – so auch der damit verbundene Energieverbrauch. Milliarden von elektronischen Kleingeräten und Sensoren sind über das «Internet der Dinge» verknüpft. Diese Geräte werden zurzeit vor allem mit Einwegbatterien betrieben, deren Verbrauch weder ökologisch noch wirtschaftlich sinnvoll ist. Rund ein Drittel der 2019 und 2020 gekauften Batterien in der Schweiz gelangten nicht zurück in den Recyclingkreislauf. Das Einsparpotenzial durch IoT in Gebäuden und Fabriken ist enorm.

Das deutsche Start-up Enerthing hat sich ein klares Ziel gesetzt: Es will das Internet der Dinge unabhängig machen von Einwegbatterien und den Verbrauch durch Sensoren effizient steuern. Wie das geht? Mit Photovoltaikfolien. Diese nutzen künstliches Licht, um Strom zu produzieren. Dabei sind sie so leistungsstark, dass sie Energie für diverse IoT-Geräte mittels Sensoren liefern.

 

Enerthing möchte das Potenzial von IoT ausschöpfen

«Vor Enerthing war ich im Management bei einem Hightech-Start-up in England tätig. Dort wurden bereits neuartige Photovoltaikfolien entwickelt», erzählt Gründer und CEO Michael Niggemann. Zurück in Deutschland hat er 2016 sein eigenes Start-up gegründet. Dem Gründer war bewusst: Wenn die IoT-Welt so schnell wächst wie vorhergesagt, müssen Milliarden von Geräten entweder mit Einwegbatterien betrieben oder aufwändig verkabelt werden. Da dies weder wirtschaftlich noch nachhaltig ist, würde ein grosses Potenzial der Effizienzsteigerung durch IoT ungenutzt bleiben. Dieses Potenzial möchte Enerthing nutzen.

 

Die Mitglieder des Management-Teams von Enerthing stehen nebeneinander in ihrem Firmensitz in Leverkusen. Von links: Martin Lindemann, Michael Niggemann, Christian Haase und Martin Lenze.

Das Management-Team von Enerthing im Hauptsitz in Leverkusen: Martin Lindemann, Michael Niggemann, Christian Haase und Martin Lenze (von links).

Enerthing liefert eine nachhaltige Lösung, wie Niggemann erklärt: «Licht ist die beste Energiequelle. Dazu zählt auch Kunstlicht. Daraus haben wir ein riesiges Potenzial erschlossen, um IoT batteriefrei betreiben zu können.» Der Sinn von IoT-Geräten ist, auf Basis von Daten, die Sensoren sammeln, Prozesse zu verbessern: «Unser Ziel ist es, die Effizienz und die Produktivität zu steigern und dank Daten eine bessere Regelung zu ermöglichen.» Daraus leitet sich der Grundgedanke von Enerthing ab: «Wir wollen dort Daten und Mehrwert generieren, wo es zuvor nicht möglich war – und zwar mit unserer Photovoltaiktechnologie.» Auf dieser Basis hat Enerthing IoT-Sensoren für Bürogebäude und die Industrieproduktion entwickelt.

 

Ganzheitliche Lösung für nachhaltige Effizienz

Viele Unternehmen konzentrieren sich primär auf die Photovoltaiktechnologie. Enerthing beschränkt sich nicht nur auf das Solarprodukt, wie Niggemann erläutert: «Es geht um die gesamtheitliche Lösung. Wir fokussieren uns auf die Photovoltaik und die Anwendung: von der Auswahl der Photovoltaikfläche, dem Produktdesign und der Integration ins Gehäuse bis zu den Sensordaten in der Cloud.»

Um batteriebetriebene Produkte photovoltaisch statt durch Batterien zu betreiben, braucht es mehr als nur ein anderes Gehäuse: «Es wird eine neue Elektronik sowie eine neue Regelung der Geräte benötigt. Wir verknüpfen den Gedanken des Smart Grid, also des smarten Stromnetzes, mit der IoT-Welt.» Das Licht variiert in Büros je nach Tageszeit, was aufgrund der sich verändernden Energie eine Herausforderung darstellt. Doch auch dafür hat Enerthing eine Lösung, erklärt der CEO: «Zur Regelung der IoT-Geräte steuern wir die Aktivitäten je nach Energiebedarf dank der Sensoren und Daten in der Cloud.» Diese Eigenschaft macht das Produkt wartungsfrei.

 

Enerthing Mitarbeiter Nils Cryns beim Löten in der Werkstatt am Hauptsitz in Leverkusen.

Das Team von Enerthing entwickelt stetig neue Ideen und Lösungen. Dabei ist es wichtig, sich an Marktverschiebungen anzupassen.

Aktuell konzentriert sich Enerthing auf zwei Anwendungsbereiche: die gesamte Gebäudesensorik und die Digitalisierung im Industriebereich. Für die Optimierung von Gebäuden sind drei Faktoren relevant: energieeffizienter Gebäudebetrieb, Auslastungsmanagement und Gesundheit in den Innenräumen – dazu gehört unter anderem die Luftqualität. Im Industriebereich deckt das Start-up vor allem die Bereiche Lagerhaltung und Condition-Monitoring ab, womit zum Beispiel der Maschinenzustand ermittelt werden kann.

 

Enerthing verfolgt das Ziel, Mehrwert zu bieten und Daten zu generieren, wo es zuvor nicht möglich war. Dazu entwickeln wir nicht nur Solarfolien, sondern eine ganzheitliche Lösung.

 

Zu erwarten ist ein weiterer Anstieg in der Nutzung batteriebetriebener Geräte, vor allem in den Sektoren smarte Gebäude, Einzelhandel und Logistik. Das junge Unternehmen will aber nicht nur die bestehende Welt der batteriebetriebenen Sensoren revolutionieren, wie Michael Niggemann ergänzt: «Mit der Photovoltaikfolie und unseren Sensoren möchten wir neue Anwendungsfälle ermöglichen, die aufgrund eines zu hohen Energiebedarfs und eines zu häufigen Wechselns der Standardbatterien bisher gar nicht möglich waren.»

 

Von Licht zu Strom – mit doppelter Produktivität

Für das Leverkusener Startup ist Effizienz ein entscheidender Faktor. Die Enerthing-Technologie erzielt einen doppelt so hohen Wirkungsgrad bei der Beleuchtung mit Kunstlicht wie herkömmliche Solarzellen. Das Team von Michael Niggemann hat eine Photovoltaiktechnologie entwickelt, die im Vergleich zu anderen pro Fläche mehr Energie bei gleichem Licht erzeugt – eine besondere Umwandlungseffizienz von Licht zu Strom. Die Solarzellen erzeugen nutzbare Energie bereits ab einer Beleuchtungsstärke von 200 Lux, was etwa einem schlecht beleuchteten Schreibtisch entspricht.

 

Anwendungsbeispiele für Enerthing-Technologie

Der CO2-Sensor sorgt für eine energieeffiziente Lüftung von Räumen. Er misst Luftqualität, Temperatur, Feuchtigkeit und CO2-Wert. Der Sensor ist energieautark – das heisst, der Akku lädt sich durch die Photovoltaik auf. Die Daten gelangen in die Cloud, ein integrierter Alarm weist mit einem Summen auf die Überschreitung von Grenzwerten hin.

Der Vibrationssensor macht frühzeitig auf Ausfälle von Industriemaschinen aufmerksam: Er liegt auf einer Maschinenoberfläche und vibriert. Nimmt die Vibration zu, weist dies auf einen Verschleiss hin.

 

Enerthing druckt die Solarzellen auf Folien, wodurch sie gut biegbar sind. In Kombination mit der mechanischen Flexibilität der Folien und der Robustheit sind die Produkte vor allem für Industrieanwendungen wie schwer zugängliche Geräte mit Sensoren und Displays geeignet. Dadurch funktionieren sie energieautark.

 

Eine Hand hält einen Industriesensor von Enerthing, der Vibrationen von Maschinen aufnimmt.

Die Industriesensoren helfen, die Maschinenauslastung der Anlagen zu verstehen und zu optimieren.

Vier Tipps für Start-ups: Markt, Team, Mut und Glaubwürdigkeit

CEO Michael Niggemann weiss, was vor allem am Anfang für ein Start-up entscheidend ist. Sein Tipp: «Es ist wichtig, früh an den Markt zu gehen und zu testen. Konkret heisst das, frühzeitig grosse Kunden zu finden, mit denen man das Produkt evaluieren kann, auch wenn es noch nicht ausgereift ist.» Zu den Herausforderungen gehört dabei der Nachweis der Skalierbarkeit: «Man muss zeigen, dass hinter der Technologie ein Markt steht und es sich lohnt zu investieren.»

Neben der marktreifen Technologie ist ein funktionierendes Team wichtig: «Wenn ich eine Lösung entwickle, habe ich die Technologieexpertise, aber nicht unbedingt die Markt- und Branchenexpertise. Das Team sollte divers und geschickt aufgestellt werden, um schon früh eine Branchenkompetenz im Unternehmen aufzubauen.»

 

Das Team von Enerthing hat sich für ein Gruppenfoto in der Produktionshalle in Leverkusen versammelt.

Seit 2016 ist Enerthing zu einem interdisziplinären 13-köpfigen Team von Wissenschaftlerinnen, Ingenieuren, Softwareentwicklerinnen und Businessexperten gewachsen.

Persönlich empfiehlt Michael Niggemann, mit sich selbst ehrlich zu sein: «Man darf nicht den Anspruch haben, alles selbst zu machen. Die eigenen Schwächen und fehlenden Kompetenzen sollte man mit durch die Fähigkeiten anderer Menschen ausgleichen. Es braucht Mut, eigene Schwachpunkte zuzugeben und Arbeiten abzugeben.»

Ein Start-up sollte während des gesamten Prozesses seinen Grundprinzipien treu bleiben und diese als Steuerelement in Bezug auf äussere Einflüsse nutzen: «Ein Aspekt ist die Agilität, auf den Markt und die Umgebung zu reagieren, ein anderer, an den eigenen Überzeugungen festzuhalten.» So kann eine Zusammenarbeit mit einem Investor wegentscheidend sein. «Wenn man als Unternehmen nur aufs schnelle Geld aus ist und so von den Grundprinzipien widersprechende Entscheidungen trifft, leidet die Glaubwürdigkeit.»

 

Unser Grundprinzip beruht auf Nachhaltigkeit und sinnvoller Technologie, nicht auf Gewinnmaximierung.

 

Venture Capital für Enerthing

Für die Energietransformation sind neue Technologien essenziell. So unterstützt Energie 360° Enerthing seit 2018durch den Smart Energy Innovationsfonds. Die Zusammenarbeit bringt für das junge Unternehmen nebst unterstützendem Kapital einige strategische Vorteile mit sich. «Energie 360° interessiert sich nicht nur für Energieerzeugung mit Photovoltaik, sondern auch für umfassendere Themen wie Energieeinsparung, Smart City und Smart Building», sagt Michael Niggemann. «Von dieser Expertise und diesem Netzwerk können wir profitieren. Durch die Bekanntheit von Energie 360° steigern wir unsere Awareness.»

 

Corporate Venture Capital: das Beste aus zwei Welten

Beim 2015 gegründeten Smart Energy Innovationsfonds handelt es sich um einen Corporate-Venture-Capital-Fonds. Solche Fonds haben das Ziel, die Innovationskraft etablierter Unternehmen durch die Kollaboration mit Start-ups zu verbessern. Denn Alt und Neu ergänzen sich mit ihren unterschiedlichen Stärken: Die Unternehmen befruchten sich gegenseitig und bringen neue Ideen und Produkte gemeinsam voran. Etablierte Unternehmen sprechen Corporate Venture Capital, um an Zukunftstechnologien zu partizipieren und Talente kennenzulernen. Start-up-Gründerinnen und -Gründer ihrerseits erhalten – zusätzlich zum Kapital – Zugang zum Netzwerk der etablierten Unternehmen. Das dadurch erhaltene Expertenwissen ist für die Start-ups oft entscheidend.

Zum Smart Energy Innovationsfonds von Energie 360°

 

Herausforderungen für das Start-up

Die Pandemie hat viele extreme Umbrüche und somit Herausforderungen für Start-ups mit sich gebracht, wie Michael Niggemann erläutert: «Wir durchlebten in dieser Zeit nebst der Pandemie einen Chipmangel, Lieferengpässe, die Ukraine-Krise sowie Klimakatastrophen. Es kam zu Marktverschiebungen, die schwierig einzuschätzen waren.» Wie handelt man hier als Start-up? «Wir müssen agil bleiben und uns schnell anpassen. Denn der Fokus der Industrie variiert sehr schnell.» Mit dem CO2-Sensor hat Enerthing auf die Situation reagiert. Vor der Pandemie war die Luftqualität primär für Schulen und Office-Bereiche wichtig. Das Bewusstsein für gute Luft war in der Gesellschaft noch nicht so verbreitet wie heute. Das Thema Energieeffizienz gewann ebenfalls an Bedeutung: Wie betreibt man Gebäude effizient und wie ändert man sein Verhalten, damit man Energie spart? «Dank Sensoren können Nutzerinnen und Nutzer energieeffizient lüften», so Niggemann.

 

Michael Niggemann und Martin Lindemann sitzen am Tisch und diskutieren gemeinsam mit einem Mitarbeiter im Büro in Leverkusen.

«Eine Start-up-Gründerin oder ein Start-up-Gründer sollte sein Team möglichst mit den Kompetenzen aufbauen, die sie oder er selbst nicht mitbringt», empfiehlt Michael Niggemann.

So viel Potenzial steckt in Enerthing

«Heute liegt der Fokus auf den Innenräumen. Wir sehen bei der robusten Photovoltaiktechnologie aber auch im Aussenbereich ein grosses Potenzial– etwa im Bereich Smart City», sagt Niggemann. «Dafür ist es jedoch wichtig, zu fokussieren. Man kann in der frühen Phase nicht alle Märkte gleichzeitig angehen. Die Herausforderung in der IoT-Welt ist die hohe Komplexität, weil es so viele verschiedene Use Cases gibt. Für den Marktzugang müssen wir uns mit limitierten Ressourcen auf die identifizierten Marktsegmente und Anwendungen konzentrieren.»

 

Drei Fragen an Metin Zerman

Metin Zerman ist Investment Manager Smart Energy Innovationsfonds bei Energie 360°.

Metin Zerman ist Investment Manager des Smart Energy Innovationsfonds bei Energie 360°.

Was hat Sie überzeugt, in Enerthing zu investieren?

Erstens haben uns das Team hinter Enerthing und seine Vision überzeugt. Zweitens handelt es sich um einen sehr stark wachsenden Markt. Wir haben das Potenzial der organischen Photovoltaikfolien im Energy- Harvesting-Bereich sofort erkannt. Es war für uns klar, dass es in Zukunft immer mehr smarte Technologien und Sensoren geben wird, die Daten erfassen. Aufgrund der stetig wachsenden Anzahl und Komplexität der Daten steigt auch die Energieintensität – dafür braucht es eine nachhaltige Energielösung.

Was sagen Sie zur Entwicklung dieses Start-ups?

Mit der Entwicklung sind wir sehr zufrieden. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in den letzten Jahren diverse Krisen durchlebt haben. Das Team von Enerthing hat es geschafft, sich durch diese schwierigen Zeiten zu manövrieren, ein Produkt zu entwickeln, das im Markt gefragt ist, und einige grosse Kunden an Bord zu holen.

Wie geht es mit Enerthing weiter?

Bisher ist das Start-up in der DACH-Region unterwegs, also im deutschsprachigen Raum. Doch auch in anderen Ländern gibt es Bedarf an der Enerthing-Lösung. Vor allem in Gebäuden, Büros und industriellen Produktionsstätten, in denen unter Kunstlicht gearbeitet wird und Daten gesammelt werden, wäre eine nachhaltige Lösung sinnvoll. Dieser Schritt hin zur Internationalisierung wird in den nächsten Jahren weitere Herausforderungen mit sich bringen – aber das wird das Team rund um Michael Niggemann bestimmt mit Bravour meistern.

 

Wichtige Meilensteine von Enerthing

2016: Gründung der Enerthing GmbH
2018 und 2021: Invest der NRW Bank und des Smart Energy Innovationsfonds von Energie 360°
2018: Next Economy Award
2019: Umzug von Köln nach Leverkusen sowie Aufbau der Volumenproduktion für Photovoltaikfolien
2020: Handelsblatt Energy Award und Smart Home Award
08/2020: Condition-Monitoring-Sensor – erstes Produkt auf dem Markt
10/2020: Grosser Projektgewinn mit Lindt Sprüngli (Aachen), Industrie 4.0 Retrofit

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