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Bidirektionales Laden: Wann kommt der Durchbruch?

Je mehr Strom aus Wind und Sonne entsteht, desto wichtiger werden Speicher. Eine Speicherlösung mit riesigem Potenzial ist das bidirektionale Laden von Elektroautos. Wann der Durchbruch kommt und wie sich Energie 360° bei diesem Thema engagiert.

Publiziert 21.11.2023 Lesedauer 8 min

Mehr als 100 Kilowattstunden Strom speichern die grössten Batterien heutiger Elektroautos. Das entspricht etwa dem Stromverbrauch eines Einfamilienhauses in fünf Tagen (Verbrauchsprofil H5, Quelle: elcom.admin.ch). Statt diese grosse Menge Strom statisch im E-Auto zu speichern, lässt sich die Energie flexibel nutzen und bei Bedarf entweder ans private Hausnetz oder ans öffentliche Stromnetz abgeben. So wird die Autobatterie zu einem Zwischenspeicher. Das macht Sinn, weil die meisten Autos ohnehin den grössten Teil des Tages parkiert sind.

Was es für diese Speicherlösung braucht, ist bidirektionales Laden: die Fähigkeit eines Elektroautos, Strom nicht nur in der Batterie zu speichern, sondern via Ladestation auch wieder abzugeben. Der Strom kann also in zwei Richtungen fliessen.

Was braucht es für bidirektionales Laden?

Neben dem Elektrofahrzeug selbst muss auch die Ladestation für bidirektionales Laden gemacht sein. Damit der Strom von der Batterie zurück ins Netz gelangen kann, braucht es entweder im Elektroauto oder in der Ladestation einen sogenannten Wechselrichter. Er wandelt Gleichstrom (DC) in Wechselstrom (AC) um.

Der Grund für diese Transformation: Elektroautos funktionieren mit Gleichstrom und speichern die Energie auch so. Im Hausnetz und im öffentlichen Stromnetz hingegen fliesst Wechselstrom. Um den Strom der Fahrzeugbatterie nutzbar zu machen, muss er also umgewandelt werden. Zwar gibt es bereits erste DC-Ladestationen für bidirektionales Laden. Es ist aber genauso denkbar, dass die Fahrzeughersteller den benötigten Wechselrichter direkt ins On-Board-Ladegerät der Elektroautos einbauen. In diesem Fall genügen AC-Ladestationen.

Weiter erfordert bidirektionales Laden ein System, das die Lade- und Entladeprozesse steuert. Wird der Strom nur im privaten Hausnetz genutzt, genügt ein Energiemanagementsystem. Soll der Strom hingegen in das öffentliche Stromnetz fliessen, wird die Ladestation über eine Kommunikationsschnittstelle in das System des Verteilnetzbetreibers eingebunden und durch diesen gesteuert.

In beiden Fällen geschieht die Steuerung automatisiert. Die Nutzer*innen legen aber fest, wann die Batterie ihres Elektroautos welchen Ladestand aufweisen soll. Es besteht also keine Gefahr, dass sie losfahren wollen und der Akku leer ist.

Häufige Abkürzungen – und was sie bedeuten

V2H: Diese Abkürzung steht für «Vehicle-to-Home». Dabei wird das Elektroauto als Energiespeicher für das eigene Haus genutzt ­– meist in Kombination mit einer Solaranlage. Wenn das E-Auto an die Wallbox angeschlossen ist, lässt sich überschüssiger Solarstrom speichern. Bei Bedarf speist die Batterie den geladenen Strom wieder ins elektrische Hausnetz ein.

V2G: Der Begriff «Vehicle-to-Grid» bedeutet, dass Elektrofahrzeuge in Standzeiten über eine Ladestation mit dem Stromnetz verbunden sind und bei Bedarf einen Teil der gespeicherten Energie zurück ins Netz speisen.

V2X: Der Buchstabe X in dieser Abkürzung steht für «Everything» oder «Anything». Bei «V2X» handelt es sich also um einen Überbegriff für alle Arten des bidirektionalen Ladens.

Darum ist bidirektionales Laden in Zukunft so wichtig

Netzstabilität

Immer mehr Strom entsteht aus erneuerbaren Energien wie Solar- und Windenergie. Dieser Strom fällt in schwankenden Mengen an, was das Stromnetz stärker belastet. Bidirektionales Laden hilft mit, das Stromnetz zu stabilisieren und Engpässe zu vermeiden. «Mit den Batterien von Elektroautos als flexible Stromspeicher lassen sich Produktions- und Bedarfsschwankungen ausgleichen und Leistungsspitzen im Verteilnetz brechen», sagt Urs Mathis, bei Energie 360° fürs Business Development Elektromobilität verantwortlich. «Durch bidirektionales Laden wird die Elektromobilität also netzdienlich. Sie trägt dazu bei, dass weniger Netzausbauten nötig sind.»

Die Batterien von Elektroautos können aber noch mehr: Wird eine grosse Zahl von E-Autos gepoolt, also zu einem virtuellen Kraftwerk zusammengeschaltet, lassen sich mit ihnen Regelenergie und -leistung für die nationale Netzgesellschaft Swissgrid bereitstellen. Diese schaltet das virtuelle Kraftwerk innert weniger Sekunden zu, wenn sich zu wenig Energie im Stromnetz befindet. Ein Beispiel: Steht bei 90 000 Elektroautos je eine Leistung von 10 kW zur Verfügung, liefern sie zusammen eine Regelleistung von 900 MW. Das entspricht der Leistung des neuen Pumpspeicherkraftwerks Nant de Drance (Quelle: Alpiq).

  • "Wir sind vom riesigen Potenzial des bidirektionalen Ladens überzeugt und beobachten die Marktentwicklung."

    Urs Mathis,

    Business Development E-Mobilität, Energie 360°

  • Optimierung des Eigenverbrauchs

    Solaranlagen funktionieren umso wirtschaftlicher, je mehr des Solarstroms direkt im Gebäude verbraucht wird. Um diesen Eigenverbrauch zu optimieren, ist bidirektionales Laden ein wichtiges Instrument. Wenn die Solaranlage besonders viel Strom liefert, wird die überschüssige Energie in der Batterie des Elektroautos gespeichert. Scheint die Sonne nicht mehr, speist die Batterie einen Teil des Solarstroms via Ladestation zurück ins Hausnetz. «Dieses Laden und Entladen geschieht automatisch mithilfe einer intelligenten Steuerung», so Elektromobilitätsfachmann Urs Mathis.

    Notstromversorgung

    Bidirektionales Laden kann auch ohne eigene Solaranlage eine interessante Lösung sein. Dann nämlich, wenn der Bedarf nach einer verlässlichen Notstromversorgung besteht. Bei einem Stromausfall im öffentlichen Netz fliesst die Energie dann von der Batterie des Elektroautos ins Hausnetz.

    Bidirektionales Laden eignet sich optimal, um den Eigenverbrauch mit Strom von der Solaranlage zu erhöhen.

    Warum bidirektionales Laden noch nicht etabliert ist

    Bidirektionales Laden hat also mehrere interessante Einsatzmöglichkeiten und ist heute schon technisch machbar. Allerdings müssen noch einige Hürden überwunden werden, bevor sich die Technologie durchsetzen kann.

    Technologische Hürden

    Um das Stromnetz mittels V2G zu stabilisieren, müssen alle involvierten Komponenten miteinander kommunizieren können und aufeinander abgestimmt sein. Dazu Urs Mathis von Energie 360°: «In der Praxis ist das alles andere als trivial – schon nur aufgrund der Unterschiede bei Batterie, Bordnetz und Ladegerät der verschiedenen Elektroautos. Hinzu kommt, dass die Verteilnetze bisher keine Smart Grids sind, also keine intelligenten, kommunikationsfähigen Netze.» Eine noch grössere technische Herausforderung ist das Poolen vieler Elektroautos, um Regelenergie bereitzustellen. So muss es etwa gelingen, die damit verbundenen Energieflüsse exakt und nahezu in Echtzeit zu steuern.

    Regulatorische Hürden

    Gemäss dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen ist es in der Schweiz erlaubt, bidirektionale Ladestationen zu installieren und zu betreiben. Es braucht dazu die Bewilligung des lokalen Verteilnetzbetreibers. Die Batterien von Elektroautos werden dabei behandelt wie stationäre dezentrale Speicher.

    Trotzdem bestehen beim direktionalen Laden noch einige regulatorische Hürden. So lässt sich beim zwischengespeicherten und wieder eingespeisten Strom messtechnisch nicht unterscheiden, ob er ursprünglich aus dem Netz oder von der eigenen Solaranlage bezogen wurde. Folglich werden die Batterien von Elektroautos beim Netznutzungsentgelt gleich behandelt wie Endverbraucher.

    Laut Urs Mathis spielt dies bei der Optimierung des Eigenverbrauchs (Vehicle-to-Home) finanziell keine Rolle, wohl aber bei der Netzstabilisierung (Vehicle-to-Grid): «Dabei werden der vom Netz bezogene Strom und der eingespeiste Strom gemessen. Hier besteht bisher eine Ungleichbehandlung gegenüber Pumpspeicherkraftwerken.» Zudem ist der lokale Verteilnetzbetreiber nicht verpflichtet, den von Elektroautos ins Netz eingespeisten Strom abzunehmen und zu vergüten.

    Lebensdauer Batterie

    Bidirektionales Laden bedeutet: Die Batterien von Elektroautos werden deutlich häufiger geladen und entladen als bei normaler Nutzung. Da stellt sich die Frage: Welche Folgen hat dies für die Lebensdauer der Batterien? Gemäss Professor Roger Buser, Experte für Solarenergie an der Hochschule Luzern, dürfte die zusätzliche Beanspruchung aber kaum einen Unterschied machen (Quelle: Medienmitteilung HSLU). Denn die heutigen Lithiumbatterien sind auf eine extrem lange Lebensdauer angelegt und sehr robust. Zudem ist die Entladeleistung bei V2X viel geringer als beim Fahren.

    Wirtschaftlichkeit

    Theoretisch verspricht bidirektionales Laden finanzielle Vorteile. Bei Vehicle-to-Home verbessert sich dadurch die Wirtschaftlichkeit der Solaranlage. Bei Vehicle-to-Grid winkt eine Entschädigung oder ein tieferer Strompreis. Diese positiven Effekte stehen allerdings in keinem Verhältnis zu den heutigen Mehrkosten für geeignete Ladestationen. Die derzeit einzige in der Schweiz zugelassene bidirektionale DC-Ladestation kostet fast 14 000 Franken und somit ein Mehrfaches einer herkömmlichen AC-Wallbox (Quelle: evshop.ch, Stand: November 2023). Damit ist bidirektionales Laden bisher nicht wirtschaftlich.

    Akzeptanz der Nutzer*innen

    Ob sich das bidirektionale Laden für Vehicle-to-Grid durchsetzt, steht und fällt letztlich mit der Akzeptanz der Nutzer*innen von Elektrofahrzeugen. Sie müssen bereit sein, ihr E-Auto als Speicher zur Verfügung zu stellen und dieses wenn immer möglich mit dem Stromnetz zu verbinden. Professor Roger Buser von der Hochschule Luzern hat in einer Studie die Voraussetzungen dafür untersucht, dass bidirektionales Laden bei Privatpersonen auf genügend Akzeptanz stösst, um sich durchzusetzen. Demnach erwarten die Nutzer*innen ein intuitiv bedienbares Managementsystem, bei dem mindestens die untere Entladegrenze definiert werden kann. Darüber hinaus wünschen sie sich vom Hersteller eine Garantie gegen eine schnellere Alterung oder Schäden an der Batterie (Quelle: Medienmitteilung HSLU).

    Das ist der aktuelle Stand der Technologie

    Grundvoraussetzung für bidirektionales Laden sind Elektroautos, die diese Technologie unterstützen. Zwar haben mehrere Hersteller entsprechende Modelle in Aussicht gestellt. Bisher können aber nur wenige Elektrofahrzeuge die einzige in der Schweiz erhältliche Wallbox für bidirektionales Laden nutzen (Quelle: evshop.ch, Stand: November 2023):

    • Citroën C Zero/Mitsubishi i-MiEV/Peugeot iOn (baugleiche Modelle)
    • Honda e
    • Mitsubishi Eclipse Cross
    • Mitsubishi Outlander
    • Nissan e-NV200
    • Nissan Leaf

    Für die Kommunikation zwischen E-Auto und Ladestation beim bidirektionalen Laden besteht inzwischen eine offizielle Norm der Internationalen Organisation für Normung (ISO 15118-20). Somit können die Produzenten von Elektrofahrzeugen, Ladestationen und Energiemanagementsystemen nun normkonforme Produkte entwickeln.

    Die technische Machbarkeit von V2G und die praktische Integration von Elektroautos als Speicher ins Energiesystem sind bereits in zahlreichen Pilotprojekten untersucht worden. Allerdings handelt es sich meist um lokal begrenzte Projekte.

    Einen Schritt weiter geht das Schweizer Projekt «V2X Suisse», das noch bis im Frühling 2024 dauert: Bei diesem grossflächigen Test sind 50 Honda e an rund 40 Standorten des Carsharing-Unternehmens Mobility im Einsatz und werden bidirektional geladen. Dabei zeigt sich: Dieses virtuelle Kraftwerk erfüllt die technischen Anforderungen der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid. Die dafür entwickelte Systemplattform ist in der Lage, in weniger als zwei Sekunden auf ein Signal zu reagieren, um Netzschwankungen auszugleichen (Quelle: Medienmitteilung Mobility).

    Wie sich Energie 360° engagiert

    Auch Energie 360° hat sich bereits intensiv mit dem bidirektionalen Laden beschäftigt und ein eigenes Pilotprojekt durchgeführt – und engagiert sich somit stark bei diesem Thema. Urs Mathis zur Motivation für das Pilotprojekt: «Wir wollten die Technologie verstehen und Erfahrungen sammeln, wie damit verbunden neue Geschäftsfelder entwickelt werden können.» Während mehr als einem Jahr testeten die Fachleute von Energie 360° intensiv ein Elektrofahrzeug, das bidirektional lädt. Der Fokus lag sowohl auf dem tarifoptimierten Laden als auch auf der Spitzenlastreduktion (Peak Shaving).

    Dabei resultierte ein doppelter finanzieller Effekt. Erstens reduzierte sich durch das Peak Shaving die monatlich ermittelte Spitzenlast des Netzanschlusses. Zweitens wurde der Strom zu Hochtarifzeiten eingespeist und entsprechend vergütet. Insgesamt ermittelte das Pilotprojekt ein Einsparpotenzial von rund 100 Franken pro Monat. Je nach den individuellen Stromkosten fürs Elektroauto ist das durchaus ein relevanter Betrag.

    Wann kommt der Durchbruch?

    2024 wird die Idee von V2G zumindest in Frankreich und Deutschland konkreter. Dann bringt Mobilize, die Mobilitätsmarke von Renault, zusammen mit The Mobility House das nach eigenen Angaben erste Vehicle-to-Grid-Angebot für Endkund*innen auf den Markt. Käufer*innen des neuen Renault 5 können dessen Batterie während des Parkierens zur Verfügung stellen und werden dafür finanziell entschädigt (Quelle: Medienmitteilung The Mobility House). Weitere solche Angebote dürften bald folgen.

    Derzeit verhindern aber drei Hauptgründe, dass sich das bidirektionale Laden und die Netzstabilisierung mit Vehicle-to-Grid im grösseren Stil durchsetzen:

    • Geringes Angebot an Elektroautos mit integrierter bidirektionaler Ladefunktion
    • Hohe Kosten der bidirektionalen Ladestationen
    • Fehlende Regulierung fürs Abrechnen

    Noch lässt der Durchbruch also auf sich warten. Für Elektromobilitätsfachmann Urs Mathis von Energie 360° ist er aber nur eine Frage der Zeit: «Wir sind vom riesigen Potenzial des bidirektionalen Ladens überzeugt, beobachten die Marktentwicklung und evaluieren mögliche Handlungsfelder.»

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