«Teil der Lösung, nicht des Problems»
Rami Syväri, Bereichsleiter Mobilität und Geschäftsleitungsmitglied bei Energie 360°, über die künftige Vollelektrifizierung des Verkehrs und ihre Folgen.
Rami Syväri, die Elektromobilität entwickelt sich fulminant. Welche Auswirkungen hat das auf die Infrastruktur?
Bei den Zulassungszahlen der Elektroautos sehen wir tatsächlich eine nahezu exponentiell ansteigende Kurve: Wir sind also schon mitten auf dem Weg zur Vollelektrifizierung. Zugleich gibt es deutliche Signale, dass sich auch der Lieferverkehr, der Schwertransportsektor und sogar Segmente der Luftfahrt in diese Richtung bewegen. Letztere mit senkrecht startenden und landenden Elektro-Flugtaxis, um ein Beispiel zu nennen. Damit all diese Projekte praxistauglich werden können, sind künftige Standards wie «Megawatt Charging» in Vorbereitung. Da diskutiert man bereits über Ladeleistungen bis zu 3750 kW, sprich 3,75 MW, pro Ladepunkt.
Das klingt nach gewaltigen elektrischen Spitzenlasten. Was bedeutet das fürs Netz und den Verbrauch?
Wird der Personenwagenbestand der Schweiz vollelektrifiziert, dürfte der zusätzliche Verbrauch an Elektrizität bei 15 bis 20% liegen. Das ist wahnsinnig viel, könnte man denken. Die Strommenge an sich ist jedoch nicht der springende Punkt. Künftig relevant sind hingegen die benötigte Leistung und der Zeitpunkt des Verbrauchs. Deshalb ist es so wichtig, was gleichzeitig auf dem Gebiet der Effizienz passiert. Das A und O wird sein, wie der Strom künftig an den Ort des Bezugs kommt: aus zentralen oder dezentralen Quellen respektive einer Kombination daraus.
Wohnen im Sonnenkraftwerk
Corinne Vogt wohnt im ersten energieautarken Mehrfamilienhaus der Welt in Brütten bei Winterthur. Dank einer intelligenten Kombination aus Photovoltaik, verlustarmer Speicherung, effizienter Rückgewinnung und bewusstem Umgang mit Energie ist das Haus unabhängig von externer Energieversorgung. Der Strom reicht auch, um Elektroautos aufzuladen. Lesen Sie hier, wie Corinne Vogt im Sonnenkraftwerk wohnt.
Für die Ladeinfrastruktur eines Gebäudes stehen grundsätzlich drei Stromquellen zur Verfügung: Netzanschluss, vor Ort produzierter Strom sowie stationäre oder mobile Batteriespeicher. Was hat welchen Stellenwert?
Alle drei sind künftig von essenzieller Bedeutung. Die Königsdisziplin wird sein, diese Quellen digital, dynamisch und kostenoptimiert zu steuern und aufeinander abzustimmen: Wann bietet es sich an, Strom aus dem Netz zu beziehen, wann lohnt sich eine Rückspeisung? Wann ist die beste Zeit, den Strom in eine Gebäudebatterie oder in ein Fahrzeug zu laden? In der Schweiz haben wir mit dem ZEV-Modell (Zusammenschluss zum Eigenverbrauch) ein Werkzeug zur Hand, mit dem man auf Arealebene genau diese Optimierungen erreichen kann.
Mit der Batterie eines einzigen modernen Elektroautos lässt sich ein typischer Schweizer Haushalt eine Woche lang mit Strom versorgen.
Rami Syväri, Bereichsleiter Mobilität und Geschäftsleitungsmitglied bei Energie 360°
In den Abendstunden ist die Stromlast der Wohnungen und der zu ladenden Elektroautos besonders hoch: Wie kritisch ist dieses Szenario?
Auf Immobilien-Niveau stellt das Laden vieler Elektroautos in den Tiefgaragen zurzeit noch eine gewisse Herausforderung dar, der wir mit Smart Charging aber sehr wirksam begegnen können – bis hin zum künftigen bidirektionalen Laden, bei dem der Fahrzeugpark sogar als Notstromaggregat für die Immobilie dient. So wird ein Elektrofahrzeug statt zum Problem tatsächlich zum Teil der Lösung innerhalb des Gesamtsystems.
Die verschiedenen Akkutypen
Leistungsstarke Batterien sind der entscheidende Faktor beim Umstieg auf Autos mit Elektroantrieb. Es gibt nicht nur Lithium-Ionen-Akkus, sondern zum Beispiel auch Natrium-Ionen-Akkus. Ausserdem entwickelt sich das Recycling der mit wertvollen Ressourcen vollbepackten Batterien rasend schnell. Elektroautos werden also tagtäglich ein wenig ökologischer.
Das dürfte aber noch etwas Zukunftsmusik sein, oder?
Ja, da stehen wir noch am Anfang, sowohl bei den Ladestationen als auch bei den Elektroautos, die Strom abgeben können. Wir bei Energie 360° beobachten die Entwicklung genau. Bis komplette Garagen mit bidirektionalen Stromterminals ausgerüstet werden können, wird es noch etwas dauern. Der grosse Vorteil dabei: Jeder Fahrzeugakku erhält künftig eine wertschöpfende Bedeutung fürs Energiesystem. Das ist der fundamentale Unterschied zu den ausschliesslich fossil betriebenen Fahrzeugen.
Welche Bedeutung wird dem Steckerfahrzeug als Stromzwischenspeicher zukommen?
Wenn alle Personenwagen der Schweiz elektrifiziert sind, schätzen wir das Potenzial des darin gespeicherten Stroms auf dem Level einer kompletten Tagesstromproduktion in der Schweiz. Das ist schon erheblich. Besonders dann, wenn dieser Strom der Balancierung und Effizienzsteigerung des Gesamtsystems dient. Um das nochmals anders zu verdeutlichen: Mit der Batterie eines einzigen modernen Elektroautos lässt sich ein typischer Schweizer Haushalt eine Woche lang mit Strom versorgen. Wir werden aber hier noch auf die übernächste Generation an Ladestationen warten müssen. Auch sind erst wenige Fahrzeugmodelle für bidirektionale Ladeflüsse ausgelegt.
Wer Elektroauto fährt, lädt mit hoher Wahrscheinlichkeit vor allem am Arbeitsplatz und zu Hause. Anstatt das Ladekabel an die Steckdose zu schliessen, sollten Sie eine Ladestation einrichten. Die Expertinnen und Experten von Energie 360° beraten Sie und unterstützen Sie dabei, eine passende Ladelösung für Ihr E-Auto zu finden. Nehmen Sie mit uns Kontakt auf.
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