Wie alte Energiesysteme abgelöst werden

Energie 360° und das Paul Scherrer Institut wollen Strom speicherbar machen und gleichzeitig den Anteil an erneuerbarer Energie im Gasnetz erhöhen. Eine neue Power-to-Gas-Technologie soll es möglich machen. Ein Blick über die Schultern der Wissenschaftler.

Es dröhnt wie auf einer Baustelle – und sieht auch fast so aus: Weisse Baucontainer reihen sich auf der Gitterrostplattform aneinander, es herrscht geschäftiges Treiben. Irgendwie ist sie auch eine Baustelle, die ESI-Plattform (Energy System Integration). Wenn auch keine klassische. Hier bauen Wissenschaftler an der Energiezukunft. Mit der ESI-Plattform sucht das Paul Scherrer Institut nach Antworten auf die Frage, wie die schwankende Stromproduktion aus Wind und Sonne auch in der Schweiz optimal zu nutzen wäre.

Eine der chancenreichsten Speichertechnologien, die das Paul Scherrer Institut hier gemeinsam mit Energie 360° untersucht, ist das Power-to-Gas-Verfahren. Strom aus Sonne, Wind und Wasser lässt sich auf diese Weise in Methan umwandeln und ins Gasnetz einspeisen. So wird Energie aus Ökostrom speicherbar und der Anteil an erneuerbarem Gas im Netz lässt sich deutlich steigern – zwei wichtige Faktoren für die Energiezukunft. «In diesem Verfahren schlummert ein enormes Potenzial», sagt Dr. Peter Jansohn, Abteilungsleiter Forschungslabor Thermische Prozesse am Paul Scherrer Institut und Projektleiter ESI. Mit Power-to-Gas liesse sich die Biogas-Produktion allein schon in bestehenden Biogas-Aufbereitungsanlagen um zwei Drittel steigern.

Rund ein Dutzend Forschende
Es ist ein Elektrolyseur, der in einem der Container beständig vor sich hin brummt. Mit Hilfe von erneuerbarem Strom spaltet er Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff auf. Das Verfahren ist ein wichtiger Bestandteil der Power-to-Gas-Technologie: In einem speziellen Reaktor verbindet sich der so gewonnene erneuerbare Wasserstoff mit CO2 zu Methan, dem Hauptbestandteil von Erdgas. Dabei dienen fein gemahlene Nickelteilchen, die mit den Gasen verwirbelt werden, als Katalysator. Genau dieses Methanisierungs-Verfahren wollen das PSI und Energie 360° in der Zürcher Biogas-Aufbereitungsanlage Werdhölzli im Dauerbetrieb unter realen Bedingungen testen. Fast alle Mitarbeitenden des 14-köpfigen Teams rund um Dr. Serge Biollaz, Gruppenleiter Thermo-chemische Prozesse, tüfteln derzeit am PSI an der Anlage, die in einen der Container auf der ESI-Plattform eingebaut und schliesslich ins Werdhölzli transportiert wird.

Noch sind die Apparaturen im Container nicht ganz vollständig, doch das Herzstück der Anlage steht bereits: der Wirbelschichtreaktor. Geht er in Betrieb, strömen Roh-Biogas und Wasserstoff von unten in den zylinderförmigen Reaktor und wirbeln die Nickel-beladenen Partikel durcheinander. Ein Kilo des Materials ist im Reaktor – feingemahlen wie Sand. Die optimale Durchmischung der Gase mit dem Katalysator optimiert die Reaktion zu Methan. «Jetzt müssen wir noch an den Details feilen und den Versuchsaufbau weiter optimieren», sagt Projektleiter Serge Biollaz, der den Wirbelschichtreaktor mitentwickelt hat.

«Die pure Logik fasziniert mich»
Jedes Teammitglied hat eine andere Aufgabe in dem komplizierten Prozess. Julia Witte ist Doktorandin in thermischer Verfahrenstechnik. Am Computer stellt sie Modellrechnungen an, um herauszufinden, wie sich der gesamte Prozess optimieren lässt. «Die pure Logik fasziniert mich», sagt Julia Witte. Mit ihren Berechnungen geht sie Fragen auf den Grund, die für den Prozess entscheidend sind: Welches ist das beste Mischungsverhältnis von Roh-Biogas und Wasserstoff? Welche betrieblichen Einstellungen sind notwendig, damit die Anlage optimal läuft? Bei welchem Druck und welcher Temperatur sind die beiden Gase am reaktionsfreudigsten? Wie wirken sich diese auf den Rest des Prozesses aus? «Ich finde es spannend, einen Teil zur Energiewende beitragen zu können, sodass die alten Energiesysteme abgelöst werden können», sagt die Wissenschaftlerin.

Während Julia Witte Modellrechnungen durchführt, wird das Roh-Biogas aus dem Klär- und Vergärwerk Werdhölzli auch genauestens experimentell analysiert. Die Krux dabei: Das Gas aus dem Vergärwerk enthält andere Verunreinigungen als jenes aus dem Klärwerk. «Wir müssen ganz genau wissen, wie sich das Gas zusammensetzt, damit wir den Reinigungsvorgang optimieren können», sagt  Projektleiter Serge Biollaz. Verunreinigungen im Gas können den Prozess behindern oder gar den Katalysatorteilchen schaden. «Wenn sich zum Beispiel Schwefel- oder Kohlenstoff-Verbindungen auf den Nickelteilchen ablagern, wird der Katalysator inaktiv», sagt der Wissenschaftler. Auf Dauer kann der Prozess aber nur dann wirtschaftlich laufen, wenn der Katalysator einwandfrei funktioniert. Wie sich die Vorreinigung  optimieren lässt und welche Trägermaterialien in Frage kommen, um den Katalysator optimal vor Verunreinigungen zu schützen, versucht das Team derzeit herauszufinden. Gesucht sind Stoffe, die dem Gas die Verunreinigungen entziehen können. Viele Optionen kommen in Frage. Auf eine geschickte Auswahl kommt es an, denn nur wenige kann das PSI wirklich testen.

5000 bis 6000 Arbeitsstunden

Insgesamt stecken bereits zwischen 5000 und 6000 Stunden Forschungsarbeit im laufenden Projekt. «Eine neue Technologie zur Marktreife zu bringen, ist ein langer Prozess», sagt Peter Jansohn. Der Aufwand lohnt sich, um das grosse Potenzial der Biomasse optimal zu nutzen. Roh-Biogas, das durch die Vergärung von biogenen Abfällen und in Klärwerken entsteht, besteht zu einem grossen Teil aus Methan. Es enthält aber auch einen etwa 40-prozentigen Anteil an CO2, der in herkömmlichen Biogas-Aufbereitungsanlagen vor der Einspeisung ins Gasnetz abgetrennt wird. Das im Roh-Biogas enthaltene CO2 kann dank dem Power-to-Gas-Verfahren durch die Zugabe von Wasserstoff direkt in zusätzliches Methan umgewandelt werden. Das Ergebnis: Es steht national erzeugtes erneuerbares Gas zur Verfügung, das CO2 wird in einen zusätzlichen Kreislauf eingebunden und Energie aus Ökostrom wird speicherfähig. Peter Jansohn und seine Mitarbeitenden sind überzeugt: «Das ist die Zukunft.»

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