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Energie aus dem Zürichsee tanken

Ab Herbst 2027 sollen die Kliniken und Institute am Balgrist mit erneuerbarer Energie aus dem Zürichsee geheizt und gekühlt werden. Das ambitionierte Seewasserprojekt ist ein wichtiger Meilenstein zur Erreichung der Stadtzürcher Klimaziele.

Publiziert 04.08.2023 Lesedauer 5 min

Bis in drei Jahren soll der Gesundheitscluster Lengg (siehe Box) zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie versorgt werden – das grösste Projekt dieser Art in Europa. Im «Anergieverbund Lengg» beziehen die Kliniken und Institute am Balgrist ab 2027 nur noch saubere Energie aus dem Zürichsee. Sie sparen dadurch jährlich rund 10 000 Tonnen CO2. «Das ist so viel wie 1000 Hektaren Wald kompensieren können», sagt die Zürcher Energiebeauftragte Silvia Banfi Frost. «Rund die Hälfte des Waldes auf dem Stadtgebiet.» Ein Seewasserverbund in dieser Grössenordnung sei ein weiterer wichtiger Baustein, um das energiepolitische Ziel der Stadt Zürich zu erreichen: klimaneutral bis 2040.

«Ich mag es gerne warm», sagt Andrea Rytz, CEO der Schulthess Klinik. Trotzdem ist die Heizung gerade aus – die Sonne scheint in das helle Eckbüro mit Blick auf den Zürichsee. «Unsere Operationssäle müssen aber konstant auf 18 Grad temperiert sein», sagt Rytz. «Darauf müssen wir uns verlassen können.» Als Präsidentin des Gesundheitsclusters Lengg gehört es zu ihren Aufgaben, das gemeinsame Seewasserprojekt voranzutreiben (siehe Interview). «Der Zürichsee ist eine erneuerbare Energiequelle direkt vor dem Haus – warum sie also nicht nutzen?»

Erfolgreiche Public-Private-Partnership 

Mit einem Investitionsvolumen von rund 90 Millionen Franken ist der Seewasserverbund ein gutes Beispiel einer erfolgreichen Public-Private-Partnership. Mit der Arealentwicklung im Spitalquartier Lengg 2015 wurde das Mammutprojekt durch die beteiligten Partner sorgfältig vorbereitet: die Kliniken des Gesundheitsclusters, UZH und ETH, Schutz und Rettung, Kanton und Stadt Zürich sowie die Gemeinde Zollikon. Energie 360° übernimmt als Contractor einen Grossteil der Kosten und verrechnet den Abnehmer*innen einen Endpreis pro Kilowattstunde. Je mehr Abnehmer*innen es für die Wärme- und Kühlenergie pro Anlage gibt, desto billiger wird sie. Auch die anliegenden Wohnquartiere sollen davon profitieren. 

Massvolle Nutzung ökologisch unbedenklich 

Rund um den Zürichsee sind derzeit rund 50 Wärmeverbünde in Betrieb oder in Planung. Auch auf nationaler Ebene ist das Potenzial enorm. Die zehn grössten natürlichen Seen in der Schweiz fassen rund 220 Kubikkilometer Wasser. Daraus könnte Wärme- und Kühlenergie für ein bis zwei Millionen Menschen in Ufernähe gewonnen werden. Die theoretisch nutzbare Leistung liegt bei bis zu zwei Gigawatt pro Jahr – das Äquivalent von zwei Kernkraftwerken. 

Aus ökologischer Sicht spricht nichts gegen eine massvolle  Nutzung des Sees als Energiequelle. «Der Wasseraustausch findet in der sogenannten Sprungschicht zwischen 15 und 40 Metern Tiefe statt», sagt Martin Schmid, Gewässerphysiker bei der Eawag. Dort schwankt die Wassertemperatur natürlich – Fische und andere Lebewesen sind daran gewohnt. «Die bestehenden und geplanten Seewassernutzungen führen im Zürichsee zu einer leichten Abkühlung», so Schmid. «Diese ist aber viel kleiner als die natürlichen Schwankungen von Jahr zu Jahr und hat deshalb keine negativen Auswirkungen auf die Gewässerökologie.» 

So funktioniert ein Anergieverbund

Das Video zum Anergieverbund Lengg erklärt die Funktionsweise einer Wasser-Wärmepumpe

In rund 30 Metern Tiefe wird Seewasser entnommen und in eine unterirdische Seewasserzentrale gepumpt. Anschliessend wird die Energie des Seewassers an einen Zwischenkreislauf übergeben, der sie zu den Energiezentralen der Gesundheitsinstitute transportiert. Erst dort wird mittels Wärmepumpen Wärme erzeugt – oder über einen Wärmetauscher Kälte. Die Kliniken entscheiden also, ob aus der gewonnenen Energie Wärme oder Kälte produziert werden soll.

Spülbohrung: So kommen die Leitungen in den Boden 

Eine einfache Animation zeigt, wie eine Spülbohrung funktioniert

Meterlange Rohre, viel Flüssigkeit sowie gefrässige Bohrköpfe sind nötig, um Wasserleitungen in den Boden einzuziehen. Bei einer Spülbohrung räumt ein Bohrmeissel mit geringem Durchmesser den Weg für die spätere Hauptleitung frei. Durch den entstandenen Tunnel wird rückwärts ein Räumer mit grösserem Radius gezogen, der hinter sich die Rohre legt. Ein Gemisch aus Wasser und Bentonit, einem festigenden Stoff, spült das durchbohrte Material im Tunnel an die Oberfläche und stabilisiert gleichzeitig den Hohlraum. Etwas komplizierter gestalten sich die Arbeiten, wenn sich das eine Ende der Leitung unter Wasser befindet. Taucher unterstützen dann die Arbeiten unter dem Seespiegel. 

Andrea Rytz ist CEO der Schulthess Klinik und Präsidentin des Gesundheitsclusters Lengg.

«Medizin lebt von Innovation» 


Andrea Rytz, Sie sind CEO der Schulthess Klinik und Präsidentin des Gesundheitsclusters Lengg. Gesundheit und Nachhaltigkeit – gehört das zusammen? 

Unsere Gesundheit ist unmittelbar abhängig von unserem Umgang mit der Umwelt. Beide Systeme brauchen nachhaltige und innovative Lösungen. Die Medizin lebt von Innovation. Und Nachhaltigkeit sollte heute bei allen Unternehmen eine hohe Priorität haben. Das Seewasserprojekt ist eine Chance für uns alle, in eine ökologisch sinnvolle Zukunft zu investieren. 


Warum haben Sie den Lead im Gesundheitscluster übernommen? 


Es geht um die Zukunft aller Institute hier oben und da lohnt sich das Engagement. Zudem macht das Präsidium nur einen kleinen Teil meines Arbeitspensums aus. 


Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Kliniken? 


Aus der Covid-Krise gehen wir als Gemeinschaft gestärkt hervor. Jetzt müssen wir überlegen, wie wir in Zukunft gegenüber der Öffentlichkeit als Gesundheitscluster Lengg auftreten. Anderswo auf der Welt wird dies bereits gemacht – etwa in der Dubai Healthcare City. Hier am Zürichsee haben wir das Privileg einer schönen Umgebung und müssen auf unsere Nachbarn Rücksicht nehmen. Politisch haben solche Projekte nur dann eine Chance, wenn man zeigen kann, dass zukunftsfähige Lösungen entstehen, von denen alle profitieren. 


Wie viel Mut gehört dazu? 


Klar, wir müssen Annahmen treffen – und doch ziehen wir es durch. Dazu gehört Engagement, aber das Risiko ist verteilt. Wir sind alle bereit, für die Umwelt etwas mehr pro Kilowattstunde zu bezahlen. Dafür fällt der Unterhalt der fossilen Anlagen weg – so wird es unter dem Strich nicht teurer. Letztlich ist das nicht mutig, sondern einfach nur gescheit. 

Anergieverbund Lengg

Der 2015 gegründete Gesundheitscluster vertritt die Interessen der auf der Lengg ansässigen Gesundheits-, Forschungs- und Bildungsinstitutionen: Klinik Hirslanden, Mathilde Escher Stiftung, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Schweizerische Epilepsie-Stiftung, Schulthess Klinik, Klinik Lengg, Universitätsklinik Balgrist und Universitäts-Kinderspital Zürich. Im Anergieverbund Lengg haben sich fünf der acht Kliniken zusammengeschlossen. Anergie bedeutet in diesem Zusammenhang die Nutzung von niedrigen Übertragungstemperaturen. Dadurch können verschiedene Verbraucher*innen unabhängig voneinander gleichzeitig heizen und kühlen. 

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