Wer treibt die Elektromobilität voran?
Die Elektromobilität in der Schweiz hat in kurzer Zeit grosse Fortschritte gemacht – und doch gibt es noch viel zu tun. Energie 360° stellt Persönlichkeiten vor, die massgeblich zum Durchbruch der E-Mobilität beigetragen haben und ihre Entwicklung weiter beschleunigen.
Albert Lehmann, der Pionier
Schnelladestationen werden bis 2025 Standard sein. Das ist ein grosser Mehrwert, der das Kundenerlebnis markant verbessert.
Albert Lehmann, Gründer und ehemaliger CEO swisscharge.ch AG
Swisscharge baut das grösste Ladenetz der Schweiz auf und bedient damit über 80 000 registrierte Endkundinnen und Endkunden. Aktuell zählt das Unternehmen 19 Mitarbeitende und betreibt ein Netzwerk von 7000 Lademöglichkeiten in der Schweiz sowie über 200 000 in Europa. Seit 2020 gehört Swisscharge zu 90% Energie 360° und zu 10% dem TCS. Gründer und CEO Albert Lehmann zieht sich 2022 nach acht Jahren Swisscharge aus dem aktiven Geschäft zurück und zieht Bilanz.
Welchen Marktanteil hat Swisscharge aktuell?
Albert Lehmann: Wir sind wahrscheinlich aus Nutzersicht mit mehr als 75 000 registrierten Endkundinnen und -kunden die Nummer 1 in der Schweiz. Zudem betreiben unsere CPO-Kundinnen und -Kunden (Charge Point Operator) mit mehr als 40% Marktanteil auch das grösste Schnelladenetzwerk der Schweiz. Aber wir entwickeln uns auch im Privatbereich rasant und gewinnen viele neue Kundinnen und Kunden aus der Immobilienbranche.
Beim Angebot an Ladestationen den Durchblick zu behalten, ist nicht einfach. Woran sollen sich Elektromobilistinnen und -mobilisten auf Reisen orientieren?
Das Geschäft ist stark digitalisiert. Wichtig ist es, eine umfassende Lade-App – am besten natürlich swisscharge.ch – auf seinem Smartphone zu haben. Damit ist die Preistransparenz jederzeit gegeben. Daneben ist vor allem im südlichen Teil Europas die Infrastruktur leider auch heute teilweise ungenügend und schlecht gewartet. Mein Tipp aus eigener Erfahrung: Lieber den Ladestopp planen, bevor der Akku auf einem gefährlich tiefen Stand ist. Insgesamt ist ein Reisen mit dem E-Auto europaweit bedenkenlos und entspannt möglich.
Ab wann wird Plug & Charge nach dem Vorbild von Teslas Superchargern der Standard beim Laden unterwegs?
Erste Lösungen sind bereits verfügbar und wir werden das für Schnelladestationen jetzt wohl in den nächsten drei Jahren als De-facto-Standard sehen. Das ist ein grosser Mehrwert, und es verbessert das Kundenerlebnis markant.
Deborah Bottana, die Innovatorin
Das wahre Potenzial liegt nicht in der Verbesserung von Ladelösungen, sondern in der Nutzung von Synergien zwischen Ladeinfrastruktur, Photovoltaik, Batterie und Elektroauto.
Deborah Bottana, Mitinhaberin simplee AG
Die simplee AG ist eine Produkt- und Knowhow-Partnerin rund um die Themen der Elektromobilität. Die Firma berät Energieversorgerinnen, Installateure und institutionelle Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer in Bezug auf Elektromobilität und Ladelösungen. Dazu hat simplee als Importeur der Ladesysteme easee und Alpitronic die passenden Produkte (AC/DC) im Portfolio.
Heute verfügt jedes dritte neu verkaufte Auto in der Schweiz über eine Steckdose zum Laden. Ab 2035 sollen nur noch fossilfreie Fahrzeuge neu zugelassen werden. Geht der Ausbau des Netzwerks an Ladestation dafür genug schnell voran?
Seit unserem Start im Jahr 2019 hat sich extrem viel bewegt. Damals mussten wir noch erklären, warum Ladeinfrastruktur zur Grundausstattung einer Immobilie gehört. Heute ist das in der Branche weitgehend Standard und viele Immobilienunternehmen nehmen sich der Thematik aktiv an – das ist schön zu beobachten. Beim Ausbau sollten gegenwärtig die Qualität und die Zukunftssicherheit statt die Geschwindigkeit im Vordergrund stehen. Zu viele Anbieterinnen und Anbieter im Markt verkaufen heute günstige Erstinstallationen, die aber schlecht skaliert werden können. Für Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer bedeutet das später unnötige Mehrkosten. Schade – Nachhaltigkeit wäre hier der bessere Weg.
Ist die Ladeinfrastruktur auf technischer Ebene fertig erfunden? Gibt es noch Potenzial für schnellere, effizientere Ladelösungen?
Wir stehen hier erst am Anfang. Das wahre Potenzial liegt nicht in der Verbesserung von Ladelösungen, sondern in der Nutzung von Synergien zwischen Ladeinfrastruktur, Photovoltaik, Batterie und Elektroauto. Dieses Ökosystem bietet unglaublich viele Chancen, ist aber auch hochkomplex. Der Markt ist hier ständig in Bewegung, Standards müssen definiert und Schnittstellen entwickelt werden. Wir stehen vor einer tiefgreifenden Transformation der Energieindustrie und ich freue mich darauf, die vielen spannenden Herausforderungen mit unserem Team sowie unseren Partnerinnen und Partnern anzugehen!
Welche Auswirkungen hat die starke Nachfrage nach Ladestationen auf die Betreiberinnen und Betreiber bestehender Immobilien?
Die Komplexität der Ladeinfrastruktur wird noch immer stark unterschätzt. Oft herrscht die Ansicht, das Gröbste sei erledigt, wenn der erste Ausbau abgeschlossen ist. Dabei ist die Infrastruktur wie ein lebendiger Organismus – sie entwickelt sich stetig weiter. Es kommen laufend neue Ladestationen hinzu, die Plattformen werden weiterentwickelt, Prozesse müssen neu gedacht werden. Ladetarife ändern sich jährlich und die Infrastruktur muss ganzheitlich betreut werden. Um alle diese Bereiche zu überwachen und an die neuesten Entwicklungen anzupassen, braucht es eine starke E-Mobility-Partnerin mit dem nötigen Knowhow.
Krispin Romang, der Vernetzer
Die Vollelektrifizierung kommt, egal ob wir dafür bereit sind oder nicht. Bei den privaten Ladestationen sind wir für die weitere Zunahme von E-Fahrzeugen noch nicht gerüstet.
Krispin Romang, Geschäftsführer Swiss eMobility
Swiss eMobility ist eine Dachorganisation der Verkehrs- und Energiewirtschaft in der Schweiz. Sie unterstützt die Schaffung der politischen und institutionellen Grundlagen für die Entwicklung der Elektromobilität in der Schweiz. Krispin Romang treibt diese Entwicklung seit gut zehn Jahren voran – seit 2019 als Geschäftsführer.
Wie steht die Schweiz beim Ausbau der Elektromobilität im internationalen Vergleich da?
Wir belegen beim Elektrifizieren unserer Personenwagenflotte – auch ohne signifikante Förderung – im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz. Dies ist den vielen aktiven und innovativen Privatakteurinnen und -akteuren geschuldet. Bei den privaten Ladestationen sind wir für die weitere Zunahme hingegen nicht gerüstet. Aufgrund des tiefen Eigenheimanteils und den Erschwernissen für Mieterinnen und Stockwerkeigentümer bei der Erstellung von Ladestationen haben wir die schlechtesten Voraussetzungen in Europa.
Wie sieht die Roadmap von Swiss eMobility für die nächsten fünf Jahre aus?
Die Vollelektrifizierung kommt, egal ob wir dafür bereit sind oder nicht. Wir haben letztes Jahr das «Szenario 2035: Marktdurchdringung für Steckerfahrzeuge (PEV) in der Schweiz» publiziert. In den nächsten fünf Jahren werden Elektroautos 50 bis 70% der Neuverkäufe ausmachen.
Wird die drohende Energiemangellage die Entwicklung der Elektromobilität ausbremsen?
Nein. Elektroautos sind deutlich energieeffizienter als alle anderen Antriebe. Wenn wir Energie sparen wollen, müssen wir schnellstmöglich auf Elektroautos umsteigen. Fehl- und fehlende Informationen zur Stromsituation können zu Verunsicherung bei den Konsumentinnen und Konsumenten führen. Die Absatzzahlen werden deshalb wohl unter den diesjährigen Erwartungen liegen. Die mittel- und langfristige Tendenz zur vollständigen Elektrifizierung bleibt gegeben.
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