Netto-Null und die Rolle von CO2-Senken
Die Energiestrategie des Bundes will den CO2-Ausstoss bis 2050 auf Netto-Null senken. Die Stadt Zürich will das schon 2040 erreichen. Natürliche und technische CO2-Senken sind zwei Möglichkeiten auf dem Weg, dieses Ziel zu erreichen. Aber was sind CO2-Senken? Und was haben sie mit Staubsaugern und Lego zu tun?
Wir starten diesen Artikel vor etwa 200 Jahren. Um 1800 nämlich befanden sich die Erde und ihre Atmosphäre in einem stabilen Verhältnis. Ein Gleichgewicht, das in den folgenden Jahren durch die Industrialisierung arg ins Wanken geraten ist. Der Mensch hat angefangen, der Erde Stoffe wie Kohle, Öl und Erdgas zu entnehmen. Kohlenstoffhaltige Materialien, die beispielsweise für den Antrieb von Motoren oder zum Heizen verwendet wurden – für Prozesse also, die eine chemische Reaktion zur Folge haben, sodass aus dem ehemals gebundenen Kohlenstoff in Verbindung mit Sauerstoff der viel diskutierte Problemstoff CO2 wird: Kohlenstoffdioxid, das sich auf das Gleichgewicht der Erdatmosphäre auswirkt. Warum?
Goldene Legosteine: Warum wenige davon trotzdem zu viel sind
Ein Beispiel: Stellen Sie sich eine riesige Kiste mit einer Million Legosteinen vor, um die Zusammensetzung der Erdatmosphäre zu simulieren. Rund 780 000 rote Klötzchen stehen für die gut 78 Prozent Stickstoff, die uns umgeben. Knapp 210 000 blaue Teilchen symbolisieren den Sauerstoffgehalt von rund 21 Prozent. Was übrig bleibt, sind etwa 10 000 Legosteine, rund ein Prozent des Gesamten. Dabei handelt es sich neben dem Edelgas Argon um klimawirksame Spurengase wie Methan, Distickstoffmonoxid, Ozon und eben Kohlenstoffdioxid. Letzteres nimmt in der Legokiste einen verschwindend kleinen Anteil von rund 420 goldenen Klötzchen ein. Vor der Industrialisierung lag dieser Anteil in unserem fiktiven Haufen bei rund 280 Legosteinen. Und da liegt das Problem. Diese wenigen zusätzlichen CO2-Teilchen hindern einen kleinen Teil der Sonnenwärme, welche die Erde erreicht, daran, wieder abzustrahlen. Ein Teil der Solarstrahlung bleibt also in der Atmosphäre «hängen», die Erde erwärmt sich – Stichwort Klimawandel. Die Frage lautet nun: Wie lässt sich der zu hohe CO2-Anteil wieder senken?

Grosse Probleme trotz geringer Menge: Der CO2-Anteil in der Atmosphäre hat sich in den letzten 200 Jahren um rund die Hälfte erhöht.
Netto-Null: CO2 senken dank CO2-Senken
Wir unterscheiden zwischen natürlichen und technischen CO2-Senken. Natürliche Senken sind im Grunde nichts anderes als Ökosysteme, die CO2 dauerhaft aufnehmen und speichern. Moore, Böden, Wälder, Meere – sie alle nehmen dabei mehr davon auf, als sie abgeben. Beispiel Wald: Wir pflanzen einen Baum, es wächst Holz. Mittels Photosynthese nimmt der Baum durch seine Blätter CO2 auf und spaltet dieses in einzelne Atome auf. Vereinfacht formuliert speichert er das C, also den Kohlenstoff, im Holz, das O2, den Sauerstoff, gibt er in die Atmosphäre ab. Dadurch ist er eine natürliche CO2-Senke. Sobald der Baum aber gerodet wird oder verfault, gibt er das erwähnte C wieder frei. Kombiniert mit dem O2 aus der Atmosphäre entsteht CO2. Ein Baum ist also nur eine CO2-Senke, solange er wächst. Sein Zerfall oder Abbau ist am Ende einfach klimaneutral. Das Schweizer Waldgesetz aus dem 19. Jahrhundert kommt uns heute diesbezüglich entgegen: Es garantiert, dass unser Wald mindestens gleich gross und damit klimaneutral bleibt. Gleichzeitig bedeutet diese Tatsache, dass man durch Aufforstung grosser Waldflächen das CO2 in der Atmosphäre etwas reduzieren könnte. Global gesehen bleibt das ein Wunschtraum. Denn allein der Blick ins Amazonasgebiet, wo täglich immense Regenwaldflächen gerodet werden, gibt da kaum Hoffnung. Aber Wissenschaft und Forschung arbeiten an technischen Methoden, um den CO2-Ausstoss oder den CO2-Gehalt in der Umgebungsluft zu reduzieren. Wie das?

Speichern mehr CO2 als sie abgeben: Wälder, Moore, Meere und Böden sind natürliche CO2-Senken.
Projekt Frauenfeld West: CO2-negativ ist klimapositiv
Ein Schlüsselbegriff in der Klimadiskussion ist jener der Negativemissionen. Das bedeutet, dass die CO2-Emissionen nicht bloss gesenkt werden, sondern dass der Umgebungsluft mittels technischer Methoden aktiv CO2 entzogen wird. In diesem Fall spricht man von einem klimapositiven Effekt. In Frauenfeld West bauen Energie 360° und die Schweizer Zucker AG derzeit gemeinsam ein klimapositives Holzheizkraftwerk. Darin wird Biomasse in Form von Restholz aus der Region mittels Pyrolyse in biologische Pflanzenkohle umgewandelt (siehe Video). In der ersten Pyrolyse-Stufe wird das getrocknete Holz zu Pflanzenkohle verarbeitet. In der zweiten Stufe wird die Kohle erneut erhitzt. Dabei entsteht Holzgas, das in erneuerbaren Strom umgewandelt wird. Dieser reicht aus, um den jährlichen Bedarf von rund 8000 Haushalten zu decken. Die Abwärme aus der Ökostromproduktion wiederum gelangt ebenfalls als erneuerbare Energie in den Wärmeverbund Frauenfeld West und in die Zuckerfabrik Schweizer Zucker. Übrig bleibt noch Biokohle als Reststoff. Diese dient der Landwirtschaft als Düngemittel. Ein weiterer Pluspunkt während des gesamten Prozesses: Die Biokohle bindet während der Herstellung der grünen Energie CO2. So macht sie die gesamte Produktion zu einem CO2-negativen und somit klimapositiven Prozess. Welche weiteren Möglichkeiten gibt es?
Bioenergie Frauenfeld
Mit dem «Staubsauger» auf CO2-Jagd
Die einfachste und effektivste Art, den CO2-Ausstoss zu senken, wäre es, die Emissionen zurückzufahren. So schnell geht das allerdings nicht. Es dauert wohl noch einige Jahre, bis industrielle Prozesse, Autoantriebe, die Energieproduktion oder Heizungssysteme flächendeckend klimaneutral sind. Also geht es bei den technischen CO2-Senken um Folgendes: Erinnern Sie sich noch an die etwa 420 goldenen Legoteilchen, die mit den restlichen 999 580 andersfarbigen Teilchen in der Kiste liegen? Einen Teil dieser wenigen Teilchen gilt es nun zu lokalisieren und herauszufiltern.
Nochmals eine Denkübung. Stellen Sie sich einen Staubsauger vor, der imstande ist, CO2 aus der Atmosphäre zu saugen. Es gibt ihn schon. Die Zürcher Firma Climeworks hat Maschinen entwickelt, die Kohlenstoffdioxid aus der Umgebungsluft filtern. Installiert man diese sogenannte Direct-Air-Capture-Technologie (DAC) beispielsweise am Kamin einer Kehrichtverbrennungsanlage, so bleiben die CO2-Teile in einem Filter hängen. Die Climeworks-Technologie kommt beispielsweise in Island zum Einsatz. Die Anlage ist zusätzlich mit einer sicheren und dauerhaften unterirdischen Lagerung kombiniert. Das abgeschiedene CO2 reagiert dabei mit Gesteinsarten wie Basalt. Durch eine natürliche Mineralisierung wird es innerhalb weniger Jahre selber zu Stein. Knackpunkt solcher Lösungen ist deren Betrieb: Man muss sie zwingend mit erneuerbarer Energie speisen, sonst macht selbst die ausgefeilteste Technologie wenig Sinn. Und: Gibt es weitere Lagerungs- oder Verwendungsmöglichkeiten für CO2?
Energie 360° ist zwar lokal verankert; das Unternehmen gehört der Stadt Zürich und den umliegenden Gemeinden. Wir fördern aber schweizweit nachhaltige Energielösungen und setzen entsprechende Projekte um.
Jörg Wild, CEO Energie 360°
Die Tücken der CO2-Lagerung
Um das abgeschiedene CO2 sicher lagern zu können, braucht es ebenfalls Lösungen. Die Anforderungen hierfür sind hoch. Denn diese Lösungen müssen absolut dicht sein, damit das reingepumpte CO2 nicht wieder in die Atmosphäre entweicht. Dazu bieten sich ausgeförderte Öl- oder Gaslagerstätten an. Eine Idee ist, gesammeltes CO2 in Gastanks abzufüllen und so transportfähig zu machen. Man könnte die Tanks anschliessend an einen Hafen fahren und per Schiff erst nach Hamburg und dann beispielsweise übers Meer nach Norwegen verfrachten. Dort würde das CO2 in eine Gaslagerstätte gepumpt und gespeichert. Aber wie viel Platz bietet eine solche Lösung? Wie steht es um die Sicherheit? Und ist der entsprechende Aufwand gerade bei langen Transportwegen nicht unglaublich hoch? Alles Fragen, die derzeit noch unbeantwortet im Raum stehen. Eine weitere Möglichkeit ist, das abgeschiedene CO2 als Rohstoff weiterzuverkaufen und zu verwenden. Zum Beispiel in der Getränkeindustrie, die zur Herstellung von «Blöterliwasser» Kohlenstoffdioxid benötigt. In Verbindung mit Wasser entsteht dabei Kohlensäure. Bisher wird das CO2 für diesen Vorgang extra aus Erdöl hergestellt. Abgeschiedenes CO2 zu verwenden, wäre also sinnvoll. Das Problem dieser gut gemeinten Lösung: Sie ist zu wenig effizient.
Ob man nun das gesammelte CO2 chemisch bearbeitet, in einen Feststoff umwandelt, in Gesteinsschichten pumpt oder für die Herstellung von Mineralwasser verwendet – eines steht fest: Den CO2-Haushalt der Atmosphäre wieder ins Lot zu bringen, ist eine Generationenaufgabe. Bleibt zu hoffen, dass die Menschheit dieses Problem bald in den Griff bekommt und nach und nach weniger goldene Legosteine in der grossen Kiste sind.
Energie 360° – gemeinsam innovativ
Eine nachhaltige Energiezukunft erfordert visionäres Denken. Energie 360° arbeitet deshalb schon jetzt an den Lösungen von morgen – gemeinsam mit Kundinnen und Kunden, Partnerunternehmen, Start-ups und natürlich mit all unseren Mitarbeitenden. Der Pioniergeist, gepaart mit Erfahrung und Innovation, steht dabei stets im Vordergrund.
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