«Wir müssen jetzt die thermischen Netze ausbauen»

Silvia Banfi Frost ist Energiebeauftragte der Stadt Zürich. Im Interview mit Energie 360° erzählt die promovierte Volkswirtin und gebürtige Tessinerin, welche Aufgaben sie als Energiebeauftragte hat und wie die Stadt Zürich ihr Netto-Null-Ziel bis 2040 erreichen will.

Silvia Banfi Frost, Energiebeauftragte der Stadt Zürich

Guten Tag Frau Banfi Frost. Sie sind die Energiebeauftragte der Stadt Zürich. Was macht eine Energiebeauftragte?

Silvia Banfi Frost: Die Energiebeauftragte hat einen breiten Fächer an Aufgaben. Eine der wichtigsten ist die Energieplanung. Hier identifizieren wir Gebiete, die mit thermischen Netzen versorgt werden sollen. Das sind meist Gebiete, in denen es nicht möglich ist, Erdsonden oder Wasser-Wärmepumpen zu installieren und wo deshalb noch stark mit fossilen Energien geheizt wird. Als Beispiele dienen das Industriequartier, der Citybereich, das Nieder- und das Oberdörfli, wo wir es mit einer alten Baustruktur und dichter Bebauung zu tun haben. Für solche Gebiete macht sich die Energieplanung Gedanken, wie sie trotzdem Netto-Null-kompatibel mit Wärme versorgt werden können.

Ferner gehört die strategische Weiterentwicklung der Fördermechanismen zu den Aufgaben der Energiebeauftragten. Es gibt Fördermodelle der Stadt und wir prüfen, ob diese geeignet und ausreichend sind, um die Netto-Null-Ziele zu erreichen.

Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Koordination der Energiepolitik der Stadt. Energie ist ein Querschnittsthema, mit dem sich alle Departemente und Dienstabteilungen beschäftigen. Wir schauen, dass es einheitliche Leitfäden gibt, koordinieren Vernehmlassungen und nehmen Stellung zu Vorlagen des Bundes sowie des Kantons zu Energiefragen.

 

 

Wie sieht die Zukunft der Energieversorgung der Stadt Zürich aus?

Unsere zukünftige Energieversorgung wird Netto-Null-kompatibel sein, also 100 Prozent erneuerbar. Und sie wird, anders als heute, sehr vielfältig sein. Früher hat man hauptsächlich Öl und Gas zur Versorgung eingesetzt. In Zukunft wird das Angebot an Energieträgern viel breiter sein. Wir werden Abwärme nutzen – von der Klärschlammverbrennung, von Kehrichtverwertungsanlagen oder auch von Rechenzentren. Zusätzlich werden wir Umweltwärme einsetzen: Erdwärme bei Erdsonden, Luftwärme bei Luft-Wasser-Wärmepumpen. Wir werden aber auch die Wärmequellen des Sees, der Limmat und des Grundwassers nutzen. Und als Ergänzung wird es, wo nötig, weiterhin Strom, Holz und Biogas geben. Es ist eine breite Palette an Energieträgern, die zukünftig eine Rolle spielen wird.

 

 

Wie weit sind wir da?

Wir sind auf einem guten Weg, aber wir haben noch viel zu tun. Beispielsweise haben wir noch mehr als 20 000 Heizungen, die bis 2040 von fossilen Energieträgern auf erneuerbare umsteigen müssen. Aber das Energiegesetz des Kantons unterstützt uns in dieser Transformation. Wir haben die Technologien für diese Transformation und wir wissen, was zu tun ist. Wir müssen jetzt die thermischen Netze ausbauen. Und es gilt, dies mit einer gewissen Geschwindigkeit tun. Wir können nicht 20 Jahre warten, sondern müssen jetzt umsetzen. Auch da bin ich zuversichtlich, weil die Bevölkerung diese Transformation mitträgt. Wir hatten im Frühling die Abstimmung zu Netto-Null, die mit einem grossen Mehr angenommen wurde. Das heisst, es gibt die Bereitschaft, auch eventuelle kurzfristige Unannehmlichkeiten zu akzeptieren, die aufgrund des Baus der Infrastruktur entstehen, und auch die Zusatzkosten zu tragen. Diese Transformation ist nicht günstig, aber man ist bereit, das Geld für diese Projekte zu sprechen.

Wir sind froh, uns auch auf die Energieversorgungsunternehmen der Stadt verlassen zu können, die sich mit grossem Know-how und Elan an diese Aufgabe machen. Wir hoffen natürlich, dass wir auch die Fachkräfte finden, die uns in diesem Umbau helfen. Das ist ein Thema, das in meinen Augen ganz wichtig ist: Es gilt, die richtigen personellen Ressourcen sicherzustellen, um den Ausbau zu bewerkstelligen.

 

Welche Rolle spielen Energieverbünde bei dieser Transformation?

Energieverbünde werden eine wesentliche Rolle spielen, um Netto-Null zu erreichen. Bis 2040 sollen 60 Prozent der Siedlungsfläche Zürichs mit Energieverbünden erschlossen sein – heute stehen wir bei etwa 25 Prozent. Für den Ausbau wird die Stadt rund 1,5 Milliarden Franken investieren. Und sie wird dafür sorgen, dass der Anschluss ans thermische Netz attraktiv ist. Wenn wir so viel investieren, dann möchten wir auch, dass sich die Hauseigentümerschaften daran anschliessen. Die bereits vorhandenen Fördermechanismen werden noch weitergeführt, sodass wir eine wirklich gute Alternative zu den heutigen fossilen Heizungen anbieten können.

 

Was passiert in dieser Hinsicht derzeit in der Stadt?

Vor Kurzem ist der Energieverbund Altstetten erfolgreich ans Fernwärmenetz angeschlossen worden. Bei verschiedenen weiteren Verbünden, etwa in Tiefenbrunnen, Lengg oder Wollishofen, haben die Ausbauarbeiten begonnen. Dort werden schon bald die ersten Liegenschaften mit nachhaltigen Wärmelösungen versorgt werden.

Wir von der Energieplanung und ich als Energiebeauftragte begrüssen diese Projekte sehr, weil genau dies Gebiete sind, bei denen wir sonst Schwierigkeiten gehabt hätten, die Netto-Null-kompatible Wärmeversorgung sicherzustellen. Tiefenbrunnen hat eine hohe Energiedichte und eine alte Baustruktur. Es hat nicht so viel Platz für Erdsonden und auch Wärmepumpen können nur schwer installiert werden. Der Seewasserverbund wird also eine gute Lösung für all die Liegenschaften sein, die jetzt umsteigen wollen.

Bei Lengg haben wir ein Spital-Cluster mit einem hohen Kältebedarf. Hier müssen wir darauf achten, dass auch die Kälteversorgung fossilfrei geschieht. Das dort geplante Anergienetz stellt dies bei diesem grossen Cluster sicher. Übrigens ist Kälteversorgung ein Thema, das uns in Zukunft vermehrt beschäftigen wird, und zwar nicht nur bei Spitälern.

 

 

Silvia Banfi Frost beim Interview mit Energie 360° auf dem Lindenhof in Zürich.

Silvia Banfi Frost: «Der Ausbau kann oft nicht so schnell stattfinden, wie man sich das vielleicht wünschen würde.»

Was sind die Herausforderungen bei solchen Projekten, die sozusagen mitten in der Stadt umgesetzt werden?

Es gibt verschiedene Herausforderungen. Beispielsweise das Timing. Die bauliche Umsetzung solcher Projekte muss optimal auf alle anderen Tätigkeiten in der Stadt abgestimmt werden. So müssen wir etwa sicherstellen, dass beim Verlegen der Fernwärmeleitungen alle anderen Bedürfnisse, sei es die Wasserversorgung, die Stromversorgung, der Bau neuer Tramgleise oder neuer Strassen, einbezogen werden. Dafür ist die Baukoordination verantwortlich. Auch gibt es eine Obergrenze bei der Anzahl Baustellen, die in der Stadt möglich ist. Das heisst, der Ausbau kann oft nicht so schnell stattfinden, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Zusätzlich kommt hinzu, dass viele Heizungen jetzt ersetzt werden müssen, das Netz aber noch nicht vorhanden ist. Wir müssen also auch Übergangslösungen anbieten, damit diese Kundinnen und Kunden nicht verlorengehen.

 

Wie sehen solche Übergangslösungen aus?

Es kann eine temporäre Heizzentrale oder auch ein Gemeinschaftsanschluss sein, bei dem man die eigene Liegenschaft an die Liegenschaft des Nachbargebäudes anschliesst. Aus volkswirtschaftlicher und städtischer Gesamtsicht ist das eine gute Lösung, die auch die Frage der zeitlichen Abstimmung beim Ausbau des thermischen Netzes beantwortet. Gemeinschaftsanschlüsse haben den Vorteil, dass man die Kopplung ans thermische Netz über die Liegenschaften vornehmen kann und nicht jedes einzelne Gebäude separat angeschlossen werden muss. Das ist effizienter und in der Regel auch kostengünstiger. Zum Anschluss ans thermische Netz ändert sich für die Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer nichts, es gibt keine zusätzlichen Massnahmen, die ergriffen werden müssen. Sie können sich direkt anschliessen.

 

Kommen wir zu einem globalen Thema: Wie geht Zürich mit der momentanen Energiekrise um?

Die Stadt Zürich beschäftigt sich ausgiebig mit dem Thema. Der Stadtrat wird regelmässig zum Stand der Energieversorgungssituation informiert. Auf Stadtebene ist eine Taskforce gebildet worden. Anfang September hat diese Taskforce dem Stadtrat Massnahmen vorlegelegt, die umgesetzt werden können, um Strom und Gas zu sparen. Es ist eine Kaskadierung von Massnahmen: Von sogenannten Quick Wins, die wir sofort umsetzen können, bis hin zu weiterreichenden Szenarien, wenn es wirklich zur Energiemangellage kommt. Natürlich sind Spitäler und gewisse Infrastrukturen hier ausgenommen.

 

Was können wir tun, um zur Entspannung der Lage beizutragen?

Alle können etwas beitragen, indem sie Energie sparen. Jede gesparte Kilowattstunde zählt und trägt dazu bei, dass die Gefahr einer Mangellage im Winter reduziert wird. Es handelt sich hier um Dinge, die wir schon lange kennen: Raumtemperatur senken, Warmwasserverbrauch reduzieren, duschen statt baden, gewisse Geräte weniger einsetzen, Wäsche an der Luft trocknen, Standbys vermeiden, Licht abschalten, wenn man nicht im Raum ist, oder das Bügeln eher mal sein lassen. Das sind alles keine Neuigkeiten, aber es ist jetzt wirklich wichtig, dass diese Massnahmen umgesetzt werden. So können wir alle zusammen einen wichtigen Beitrag leisten.

 

Wo können interessierte Bürgerinnen und Bürger mehr erfahren?

Die Stadt bietet Beratungen für alle an, die generell mehr über das Thema Energie erfahren möchten oder wissen wollen, welche Möglichkeiten es am eigenen Wohnort gibt, auf klimaneutrale Lösungen umzusteigen. Die Energieberatung der Stadt Zürich findet im Klimabüro in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs statt. Man kann sich dort melden. Zusätzlich haben wir die Geschäftsstelle Wärme Zürich ins Leben gerufen, mit deren Hilfe interessierte Bürgerinnen und Bürger gebäudegenau erfahren können, welche erneuerbaren Energieträger an ihrem Standort schon heute verfügbar sind oder in Zukunft verfügbar sein werden. Alle Informationen zum Thema Energie sowie die zuständigen Ansprechpersonen können über die Energieplattform auf der Website der Stadt Zürich abgerufen werden. Dort geben wir auch nützliche Tipps zum Energiesparen im eigenen Haushalt. Auch unsere Energieversorger bieten auf ihren Websites vielfältige Informationen zum Energiesparen und zur Energieversorgung an.

 

 

 

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