Grüner Strom aus Kakteen

Mexiko ist noch stark abhängig von fossilen Energieträgern. Um seine Klimaziele zu erreichen, setzt das Land neben Wind- und Wasserkraft auch auf Biomasse. Deren Anteil am Energiemix soll sich bis 2024 verzehnfachen – auch dank Strom aus Kakteen.

Eine Kaktusplantage in Mexiko.

Feigenkakteen, in Mexiko Nopales genannt, gehören zur Landesküche wie Tacos oder Mole. Die essbaren Kaktusblätter sind eine beliebte Beilage und werden genauso selbstverständlich gegessen wie in der Schweiz die Kartoffel. Sogar auf der mexikanischen Flagge ist der Kaktus zu sehen. Nun soll die Nationalpflanze dem Land auch bei der Energiewende helfen – und zwar bei der Gewinnung von Biogas. Ein Pilotprojekt in Milpa Alta zeigt, wie das geht.

 

Energie anderswo

Immer wieder blickt Energie 360° im Magazin über Zürich und die Schweiz hinaus: Wir berichten, wie andere Länder erneuerbare Energien nutzen, welche Klimaziele sie setzen und wie die ökologische Mobilität andernorts Fahrt aufnimmt.

 

Milpa Alta gilt als grüne Oase am Rand der Metropole Mexico City. Der Stadtteil ist bekannt für seine ausgedehnten Nopal-Plantagen, die vielen Bewohnenden als Nahrung und als Haupteinnahmequelle dienen. Auf dem zentralen Gemüsemarkt fallen allein durch die Reste des Feigenkaktus täglich acht Tonnen organischer Abfall an. 2014 hat das Start-up Suema damit begonnen, aus den Abfällen durch anaerobe Vergärung Biogas und Dünger zu gewinnen. Das sozial integrative Kreislaufwirtschaftsprojekt war eines der ersten dieser Art in Lateinamerika.

 

Grosses Energiepotenzial

Der Feigenkaktus wächst bis zu 80 Zentimeter pro Jahr und gehört damit zu den am schnellsten wachsenden Kakteen. Er gedeiht auch in sehr trockenen Regionen und braucht keine Ackerflächen. Bis zu zwanzig Jahre lang kann man Blätter derselben Pflanze ernten. Als Lebensmittel wachsen die Blätter rund dreissig Tage, als reine Energiepflanze bis zu vier Monate – danach sinkt der Methanertrag. Dieser beträgt im Schnitt rund 860 Kubikmeter Methan pro Tonne Trockenmasse, was zehn Tonnen Frischmasse entspricht. Pro Jahr werden in Mexiko rund 300 000 Tonnen Nopales geerntet. Würde die gesamte Ernte getrocknet und vergärt, liessen sich daraus 25,8 Mio. Kubikmeter Biogas respektive 258 GhW Strom erzeugen.

 

Gemüsebauern in Mexiko beladen einen Transporter mit Feigenkakteen.

Der Feigenkaktus – in Mexiko Nopal genannt – gehört zur Landesküche und ist aus dem Alltag kaum wegzudenken.

Vorbildliches Recycling

Die 300 lokalen Produzenten auf dem Markt von Milpa Alta haben es geschafft, über 90% der anfallenden Abfälle in organischen und anorganischen Müll zu trennen. In einer zentralen Sammelstelle zerkleinert ein Schredder den Nopal-Abfall und verflüssigt ihn. Die Masse gelangt in einen Biofermenter, wo anaerobe Bakterien die Stärke in den Kaktusblättern zu Biogas vergären. Solarkollektoren auf dem Dach der Anlage sorgen für eine konstante Temperatur von 55° C im Fermenter. Pro Tag erzeugt die Anlage so rund 170 Kubikmeter Biogas. Das ergibt 240 kWh Strom – genug, um den Markt nachts zu beleuchten und auch tagsüber mit Strom zu versorgen. Das Biogas versorgt zudem die zahlreichen Kochstände.

Der Feigenkaktus hat mit 16 Stunden eine sehr kurze Verweildauer in der Biogasanlage. Nach der Vergärung extrahiert ein Entsafter die restliche Flüssigkeit. Übrig bleiben pro Monat rund 60 Tonnen Dünger, der wieder auf die Nopal-Felder ausgebracht wird. Ausserdem verwendet die Kooperative den Kompost auch auf dem Markt selbst zur Begrünung. «Ziel ist es, auf den Flachdächern und Mauern Gärten und Grünflächen zu schaffen», erklärt Jahir Mojica, CEO von Suema. «Der grüne Markt soll zur Attraktion werden und neue Kundensegmente anziehen. Längerfristig wollen wir ausserdem rund 150 Nachbarhäuser mit Energie versorgen.»

 

35% erneuerbarer Strom bis 2024

Der Energiemix in Mexiko wird von Öl und Gas dominiert, wobei fast die Hälfte auf Öl entfällt. Seit dem Jahr 2000 wächst der Energieverbrauch um durchschnittlich 1,6% pro Jahr. Erdgas ist die Hauptstromquelle und wird zu einem grossen Teil aus den USA importiert. Bis 2024 will Mexiko einen Anteil von 35% erneuerbarer Energien erreichen. Zurzeit sind es rund 18% – grösstenteils aus Wasserkraft und Windenergie. Biomasse spielt mit 0,3% noch kaum eine Rolle. Der Anteil soll sich aber bis 2024 verzehnfachen.

 

Sozialer Faktor als Stärke

Die Biogasanlage kostete 15 Millionen Pesos – umgerechnet rund CHF 700 000. Grösstenteils finanziert hat sie das Sekretariat für Wissenschaft, Technologie und Innovation des Distrikts Mexico City (Seciti). Suema ist verantwortlich für Forschung, Umsetzung und den Betrieb. Ausserdem kümmert sich das Unternehmen um den sozialen Rückhalt des Projekts. «Ohne die Unterstützung der Bevölkerung wäre die Umsetzung der Pilotanlage nicht möglich gewesen», sagte Jahir Mojica. «Wir haben sehr hart daran gearbeitet, die Menschen für die Mülltrennung zu sensibilisieren. Wir möchten, dass sie das Projekt als ihr eigenes empfinden.»

 

Ausbau hängt von der Politik ab

Die Gestehungskosten für den Strom aus Kakteen belaufen sich auf umgerechnet knapp vier Rappen pro Kilowattstunde. Die Kooperative spart dank der Anlage pro Monat so umgerechnet rund CHF 3400 an Stromkosten und CHF 4500 an Entsorgungsgebühren. Wenn das Projekt in Milpa Alta auch längerfristig Erfolg hat, will Suema dieses Modell in anderen Teilen der Grossstadt replizieren. Allein im District Ciudad de México gibt es rund 800 öffentliche Märkte. Die Lösung könnte auch für Einkaufszentren, Restaurants, Hotels, Industriekantinen, Firmengebäude und Vertriebszentren angepasst werden, die grosse Mengen organischer Abfälle erzeugen. Suema ist zudem nicht das einzige Unternehmen, das solche Projekte vorantreibt. So hat Sistema Bio schon über 3000 kleinere Anlagen im ganzen Land installiert.

 

Ein Mann mit Hut erntet Kakteen

In den schnellwachsenden Feigenkakteen steckt eine Menge Energie.

Wie gut solche Initiativen funktionieren, hängt jedoch stark vom politischen Klima ab. Seit der Liberalisierung des Energiemarkts 2013 hat der Staat den Ausbau erneuerbarer Energien weitgehend an private Unternehmen ausgelagert. Die staatsnahen Energieunternehmen CFE und Pemex setzen weiterhin vor allem auf fossile Energieträger (siehe Box). Um sie zu schützen, wollte Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador ihnen mit einer Verfassungsreform 54% der Stromerzeugung garantieren. Die Vorlage, welche die ökologische Transformation aus dem Jahr 2013 in weiten Teilen rückgängig gemacht hätte, scheiterte im April 2022 im Parlament nur knapp.

 

Biogas ermöglicht eine nachhaltige Energieversorgung. Energie 360° setzt selber Projekte zur Nutzung von Biogas um und interessiert sich für andere, innovative Nutzungen.

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