Japan auf dem Weg zur Wasserstoffgesellschaft
Um seine Klimaziele zu erreichen, setzt Japan auf Wasserstoff. Dafür muss man das vielfältig nutzbare Gas aber mit erneuerbarer Energie erzeugen – und zwar möglichst günstig. Industrie und Regierung investieren deshalb Milliarden in die Forschung.
- 15. März 2022
- Erneuerbare Energien nutzen
- Energiespeicherung, Wasserstoff
Japan ist heute von allen Industrienationen am stärksten abhängig von Energieimporten. Bis 2011 stammte noch rund ein Drittel des Energieverbrauchs aus Atomstrom. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima hat die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt seine 54 Atomkraftwerke jedoch weitgehend stillgelegt. Da direkte Stromimporte in das Inselreich nicht möglich sind, deckt Japan seinen Primärenergiebedarf heute zu über 90% mit dem Import von Öl, Kohle und Erdgas. Dies soll sich aber bald ändern – dank Wasserstoff. Als erstes Land der Welt hat Japan 2017 eine nationale Wasserstoffstrategie entwickelt. Damit will das Land seine CO2-Emissionen bis 2030 um 46% senken. Bis 2050 soll Japan ganz aus der Kohlekraft aussteigen und CO2-neutral werden. Doch wie kann das funktionieren?
Energie anderswo
Immer wieder blickt Energie 360° im Magazin über Zürich und die Schweiz hinaus: Wir berichten, wie andere Länder erneuerbare Energien nutzen, welche Klimaziele sie setzen und wie die ökologische Mobilität andernorts Fahrt aufnimmt.
Weltweit grösste Produktionsanlage für grünen Wasserstoff
Knapp acht Kilometer Luftlinie vom havarierten Kernkraftwerk Fukushima Daiichi entfernt liegt möglicherweise der Schlüssel für Japans Energiewende. 2020 hat ein Firmenkonsortium hier mit staatlicher Unterstützung die weltweit grösste Produktionsanlage für grünen Wasserstoff (siehe Box) in Betrieb genommen: das Fukushima Hydrogen Energy Research Field (FH2R). Auf einer Fläche von 30 Fussballfeldern forschen hier fünf Unternehmen zur Wasserstoffproduktion. FH2R nutzt eine Photovoltaikanlage mit 20 Megawatt Leistung für die Elektrolyse. Genug erneuerbare Energie, um pro Stunde bis zu 1200 Kubikmeter – oder rund 30 Kilogramm – grünen Wasserstoff herzustellen. Zum Vergleich: mit der Produktion innert 24 Stunden lassen sich rund 560 Wasserstofffahrzeuge betanken.
Speicherung von Wasserstoff
Um Wasserstoff kompakt zu speichern, sind entweder ein hoher Druck oder tiefe Temperaturen nötig. Das geringste Speichervolumen hat flüssiger Wasserstoff bei –253 Grad Celsius. In Personenwagen wird Wasserstoff als Gas bei einem Druck von 700 bar gespeichert. Eine Tankfüllung von fünf Kilogramm reicht für rund 500 Kilometer und benötigt ein Tankvolumen von 125 Litern.

Bis 2030 sollen 1300 Wasserstoffbusse auf den japanischen Strassen unterwegs sein.
Mobilität mit Wasserstoff kommt langsam ins Rollen
Obwohl Japan als Vorreiter in der Mobilität mit Wasserstoff gilt, steckt die Branche auch dort noch in den Kinderschuhen. Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Fuji Keizai prognostizierte 2019, dass der Wasserstoffmarkt in Japan bis zum Jahr 2030 um das 56-Fache auf umgerechnet 3,7 Milliarden CHF wachsen wird. 2020 sollten bereits 40 000 wasserstoffbetriebene Fahrzeuge in Japan unterwegs sein. Im März 2021 waren es aber erst 5280. Ohne massive staatliche Unterstützung ist das ambitionierte Ziel nicht zu erreichen. Die Regierung investiert bis 2030 rund 16 Milliarden CHF in die Forschung. Bis dahin sollen gemäss der Studie 621 000 Personenwagen, 1300 Busse und 14 600 Gabelstapler mit eingebauten Brennstoffzellen unterwegs sein. Auch die Anzahl der Wasserstoff-Tankstellen soll von derzeit 166 bis 2030 auf 1321 steigen. Im März 2022 hat das Unternehmen JR-East ausserdem erste Tests mit Wasserstoffzügen durchgeführt. Die kommerzielle Verwendung ist ebenfalls für 2030 geplant.
Farben von Wasserstoff
Wasserstoff (H2) ist eigentlich farblos. Er wird aber nach den unterschiedlichen Arten der Herstellung mit Farben codiert. Grüner Wasserstoff erzeugt man bei der Wasserelektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Quellen und ist deshalb klimaneutral. Blauer Wasserstoff entsteht bei der Spaltung von Erdgas in H2 und CO2 – bei türkisem Wasserstoff aus Methan. Das Kohlenstoffdioxid wird dabei durch Carbon Capture and Storage (CCS) gebunden und unterirdisch gelagert. Grauer Wasserstoff stammt aus fossilen Brennstoffen und verursacht pro Tonne H2 zehn Tonnen CO2, das in die Atmosphäre gelangt.
5,3 Millionen Brennstoffzellen für Eigenheime
Die Mobilität ist nicht der einzige und bisher auch nicht der primäre Anwendungsbereich für Wasserstoff – dafür ist der Wirkungsgrad im Vergleich zur reinen Elektromobilität noch zu gering. Brennstoffzellen für Wohnungen und Eigenheime, die Strom und heisses Wasser liefern, sind dagegen bereits heute ein selbsttragender Markt. Seit der Einführung 2009 wurden über 400 000 dieser kleinen Blockheizkraftwerke verkauft – sogenannte Ene-Farms. Diese werden allerdings noch mit Wasserstoff aus Stadtgas betrieben, weil die Infrastruktur für reinen Wasserstoff bislang noch fehlte. 2021 haben Anbieter wie Panasonic und Osaka Gas Modelle auf den Markt gebracht, die reinen Wasserstoff nutzen. Bis 2030 sollen nach dem Willen der Regierung 5,3 Millionen dieser Energiefarmen in Betrieb sein.

Das Fukushima Hydrogen Energy Research Field (FH2R) ist die weltweit grösste Produktionsanlage für grünen Wasserstoff.
Energiehungrige Stahlindustrie dekarbonisieren
In der Industrie gilt Wasserstoff als Schlüssel zur Defossilisierung für Sektoren, in denen hohe Temperaturen oder eine hohe Energiedichte gefragt sind – etwa in der Stahlindustrie. Diese beansprucht in Japan rund 10% des Energiebedarfs. Bis anhin wird der Stahl in Hochöfen mit Kohle oder mit stromintensiven Lichtbögen erhitzt. Seit kurzem verwendet der Marktführer Nippon Steel aber auch Plastikgranulat aus Abfällen zum Heizen der Öfen. Als Nebenprodukt entweicht hochreines Koksofengas, aus dem sich ebenfalls Wasserstoff gewinnen lässt. Der Einsatz von Wasserstoff und «Carbon Capture and Storage»-Technologien soll dabei helfen, die Stahlerzeugung klimafreundlicher zu machen. Dazu plant Nippon Steel in den nächsten fünf bis zehn Jahren Anlageinvestitionen in Höhe von umgerechnet 22 Milliarden CHF.
Preisreduktion und gebundener Transport
Die nationale Wasserstoffstrategie nimmt auch die japanischen Stromversorgungsunternehmen in die Pflicht. In den nächsten zehn Jahren sollen sie Wasserstoffkraftwerke mit einer kumulierten Leistung von 1 Gigawatt errichten. Das entspricht in etwa der Kapazität eines Atomreaktors. Sinkt der Preis bis 2050 wie geplant um 70% von zehn auf drei Dollar pro Kilogramm, dann sollen Wasserstoffkraftwerke mit einer Gesamtleistung bis zu 30 Gigawatt zur japanischen Stromproduktion beitragen.
Die Preisreduktion erreicht man über grössere Mengen und neue Technologien. Um seinen Bedarf für alle Anwendungsbereiche zu decken, braucht Japan bis 2050 rund 20 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Heute sind es 2 Millionen Tonnen, die Japan vor allem als blauen Wasserstoff oder als Erdgas (LNG) mit gekühlten Flüssiggastankern aus Australien importiert. Um den Energieaufwand für die Kühlung zu reduzieren, kann man Wasserstoff chemisch binden, etwa durch die Zugabe von Stickstoff. Daraus entsteht Ammoniak, das sich bei viel geringerem Druck und höheren Temperaturen flüssig speichern und transportieren lässt.
Auch Energie 360° ist auf der Suche nach innovativen Lösungen. Deshalb beteiligt sich das Unternehmen unter anderem am internationalen Projekt «Underground Sun Conversion – Flexible Storage».
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Interessante Übersicht zum Potential der Wasserstoff-Wirtschaft bei der Ablösung von fossilen Energieträgern.
In der kleinräumigen Schweiz könnte eine entsprechende Infrastruktur, ähnlich einem japanischen Ballungszentrum, aufgebaut werden.
H2 muss ja nicht nur auf die Mobilität beschränkt bleiben.
Super Artikel! Viele der Diskutierenden in den verschiedenen Foren sollten sich erst schlau machen und dann ihr Wissen zum Besten geben. Hier ist die Gelegenheit. Danke!