«Wir sehen uns als Teil der Lösung»
Das Gasnetz und die erneuerbaren Gase spielen eine wichtige Rolle, damit die Energiewende in der Schweiz gelingt. Daniela Decurtins, Direktorin des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie (VSG), sagt im Interview, welche Chancen Gas mit sich bringt und wie sich die Branche verändern wird.
- 23. November 2016
- Erneuerbare Energien nutzen
- Biogas, Erdgas, Erneuerbare Energien, Power-to-Gas
Daniela Decurtins, Direktorin des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie (VSG)
Der Ruf nach erneuerbaren Energien wird immer lauter – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Bevölkerung. Beunruhigt Sie das als oberste Vertreterin der Schweizer Gasversorger?
Daniela Decurtins: Nein. Wir sehen uns nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung. Für den Umbau des Energiesystems hin zu mehr erneuerbaren Energien, einer höheren Energieeffizienz und weniger CO2 leistet die Gasversorgung einen wesentlichen Beitrag. Sie erleichtert es, Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit miteinander zu vereinbaren. Erdgas/Biogas lässt sich zum Beispiel ideal mit der Solarenergie kombinieren. Die Sonne scheint nicht immer, wenn wir Strom oder Wärme brauchen. Hier springt Erdgas/Biogas als verlässlicher Energieträger ein. Zudem steht in rund der Hälfte aller Schweizer Häuser nach wie vor eine Ölheizung. Der Wechsel auf Erdgas/Biogas verbessert die Umweltbilanz deutlich. Und nicht zuletzt ermöglicht Erdgas/Biogas Wärmeverbünde, die erneuerbare Energien wie Holz oder Seewasser nutzen und einen versorgungssicheren Energieträger für die Bedarfsspitzen benötigen.
Unternehmen die Gasversorger in der Schweiz genug, um den Biogas-Anteil im Gasnetz zu erhöhen?
Ja, die Schweizer Gaswirtschaft gehört bei den erneuerbaren Energien weltweit zu den Pionieren. Schon in den 1990er Jahren begann unsere Branche damit, Biogas ins Gasnetz einzuspeisen. Seither haben wir den Biogas-Anteil kontinuierlich erhöht – zuerst für die Mobilität und inzwischen auch im Wärmemarkt. Die Gasversorger haben mit ihrem Engagement eine Vorleistung erbracht. Auf der Produktionsseite unterstützen wir den Bau neuer Biogas-Anlagen seit 2011 mit einem Förderprogramm. Bereits 25 Anlagen haben davon profitiert. Und auf der Absatzseite führen immer mehr Gasversorger Standardprodukte mit einem fixen Anteil von fünf oder zehn Prozent Biogas ein. Die Branche unternimmt also bereits viel für einen wachsenden Biogas-Anteil. Und dieser Anteil soll noch markant steigen. Dazu braucht es aber auch die Unterstützung der Politik, die ihr heute versagt ist.
Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit er rasch signifikant zunimmt?
Ein wichtiges Thema ist erstens der Import. Wenn wir Biogas einführen, das genauso strengen Regeln untersteht wie in der Schweiz, sollte es als erneuerbare Energie anerkannt und von der CO2-Abgabe befreit werden. Das ist bisher nicht der Fall: Die Oberzolldirektion behandelt importiertes Biogas gleich wie Erdgas. Da eine CO2-Abgabe darauf erhoben wird, verteuert es sich. Zweitens anerkennen auch die neuen Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn 2014) Biogas nicht als erneuerbare Energien. Es ist ärgerlich, wenn die Gasbranche Massnahmen umsetzt, die voll auf der Linie der neuen Schweizer Energiepolitik liegen, und dabei nicht unterstützt, sondern behindert wird. Zudem schränkt die zunehmende Regulierung die Hauseigentümer im Wärmebereich unnötig ein. Nun haben es die Kantone in der Hand, Kurskorrekturen vorzunehmen und Biogas in ihren Energiegesetzen als erneuerbare Energie zu definieren. So erhalten die Kunden mehr Möglichkeiten, klimaschonend zu heizen.
Woran liegt es, dass die MuKEn Biogas nicht als erneuerbare Energie anerkennen?
Für Laien ist das tatsächlich schwer nachvollziehbar. Die Verwaltung folgt der sogenannten Vollzugslogik: Sie setzt auf Lösungen, die ohne grosse Kontrollen auskommen und möglichst lange gelten.
Was unternehmen Sie, damit Biogas doch noch als erneuerbare Energie anerkannt wird?
Wir haben ein einfaches Modell ausgearbeitet, das für die Verwaltung keinen Mehraufwand bedeutet: Der Biogas-Anteil wird im Grundbuch eingetragen. Bei einem Handwechsel geht die Vorschrift für den Biogas-Bezug auf den neuen Eigentümer über. Weigert er sich, Biogas zu kaufen, kann sein Gasversorger im äussersten Fall die Lieferung stoppen. Namhafte Juristen bestätigen uns, dass dieses Vorgehen rechtlich funktioniert. Die zuständigen Verwaltungsstellen jedoch argumentierten, das Modell regle nicht jeden möglichen Fall. Offenbar besteht von ihrer Seite her wenig Interesse, gemeinsam eine Lösung zu finden.
Welche Auswirkungen hat diese Situation?
Momentan sind die Folgen nicht drastisch, weil die Branche an die Bedeutung der Gasinfrastruktur für den Umbau des Energiesystems glaubt. Die Unternehmen treiben den Wechsel zu erneuerbaren Gasen von sich aus voran. Doch deren Produktion ist nach wie vor teurer als der Einkauf von Erdgas. Irgendwann muss sich das Engagement der Branche rechnen. Deshalb fördern wir beispielsweise ein Forschungsprojekt, das die Wirtschaftlichkeit von Biogas-Anlagen durch neue Verfahren, einen höheren Wirkungsgrad und grössere Produktionsmengen verbessern soll. Dass eine laufende Optimierung die Kosten mit der Zeit stark senkt, zeigen andere Technologien wie die Photovoltaik. Ich bin überzeugt: Solche Effekte erzielen wir auch bei den erneuerbaren Gasen.
Welche Berechtigung hat Erdgas angesichts des Potenzials von Biogas künftig noch?
Mittelfristig behält es seine wichtige Rolle – gerade als Prozessenergie für unsere Industriebetriebe. Sie sind auf möglichst günstige Energie und eine hohe Versorgungssicherheit angewiesen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Alternative zu Erdgas wären nicht erneuerbare Energien, sondern Erdöl, das die Umwelt deutlich stärker belastet. Will die Politik Erdgas im Wärmebereich verdrängen, spielt sie in der Industrie dem Erdöl in die Hände. Das Problem dabei: Wenn die Gasversorger ihre Kosten fürs Gasnetz künftig auf weniger Kunden aufteilen können, steigen die Netznutzungspreise. Dadurch verliert Erdgas als Prozessenergie an Attraktivität. Es ist eine wichtige Aufgabe unseres Verbands, der Politik solche Zusammenhänge bewusst zu machen.
Was erwarten Sie, wie sich der Mix im Gasnetz künftig entwickelt?
Es wäre grundsätzlich möglich, die Gasversorgung langfristig zu 100 Prozent mit erneuerbaren Gasen zu betreiben. Theoretisch reichen die organischen Abfälle in der Schweiz, um die Hälfte des heutigen Erdgas-Bedarfs von jährlich 34 Terawattstunden durch Biogas zu substituieren. Allerdings verstärkt sich der Wettbewerb um Biomasse zusehends, auch weil sie durch die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) des Bundes oft verstromt wird. Wenn wir künftig ausschliesslich auf erneuerbare Gase setzen wollen, brauchen wir zusätzlich die Power-to-Gas-Technologie. Dank ihr lässt sich erneuerbare Energie über weite Strecken transportieren und im Gasnetz speichern. Dieses entlastet das Stromnetz somit von überschüssiger Energie, und zwar nicht nur von Wind- oder Solarstrom. In der Schweiz liegt das grösste Potenzial bei überschüssigem Strom aus Wasserkraft. Power-to-Gas kann also auch hierzulande dafür sorgen, dass weniger Geld in den teuren und langwierigen Ausbau der Stromnetze fliessen muss.
Wo steht das Power-to-Gas-Verfahren?
Die Technologie ist bereits vorhanden. Denn die Elektrolyse – der erste Schritt von Power-to-Gas – wird schon lange eingesetzt. Beim zweiten Schritt, der Methanisierung, geht es vor allem noch darum, verschiedene Verfahren zu testen, die besten zu finden und Erfahrungen damit zu sammeln. Um den Wirkungsgrad von Power-to-Gas zu optimieren, investieren wir in Forschung und Entwicklung. Unser Verband engagiert sich dabei als Projektpartner, bringt Know-how ein und stellt finanzielle Mittel aus dem Forschungsfonds zur Verfügung. Mehrere Gasversorger gehen ebenfalls Partnerschaften mit Forschungsinstituten ein, um Power-to-Gas voranzubringen. Ich denke etwa an das innovative Methanisierungsverfahren, welches das Paul Scherrer Institut und Energie 360° in der Zürcher Biogas-Aufbereitungsanlage Werdhölzli im Dauerbetrieb unter realen Bedingungen testen wollen. Die Wissenschaft hat erkannt, dass das Gasnetz für die CO2-arme Energieversorgung eine zentrale Rolle spielt.
Wie sehen Sie die Zukunftschancen für die dezentrale Stromproduktion mit Gas – etwa in Blockheizkraftwerken oder Strom erzeugenden Heizungen?
Da ergeben sich interessante Möglichkeiten, weil diese Anlagen neben Wärme auch Strom liefern – und zwar vor allem im Winter, wenn die Schweiz Strom importieren muss. Bisher stammt dieser oft aus deutschen Kohlekraftwerken. Da wäre es viel sinnvoller, mehr Strom dezentral in der Schweiz zu produzieren. In der parlamentarischen Diskussion zur Energiestrategie 2050 warben wir für bessere Rahmenbedingungen für die hocheffizienten Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK), fanden aber wenig Gehör. Bürgerliche Politiker lehnten eine Förderung dieser Anlagen ab und linke Politiker äusserten sich generell skeptisch gegenüber Lösungen mit Erdgas. Hier zeigt sich die Doppelmoral der Schweizer Energiepolitik: Die Energieversorgung der Zukunft soll nachhaltiger und CO2-ärmer sein, doch beim importierten Strom schaut man nicht so genau hin.
Wie verändern die besprochenen Trends die Arbeit des VSG?
Wir spüren deutlich, dass die Welt komplexer geworden ist. Bei jedem Thema haben wir andere Ansprech- und Allianzpartner. Früher waren wir als Verband vor allem auf nationaler Ebene tätig. Inzwischen sind die kantonalen Energiegesetze für uns sehr wichtig geworden, weil sie den Gebäudebereich regulieren – Stichwort MuKEn. Die politische Arbeit in 26 Kantonen erfordert viel Zeit. Gleichzeitig wächst aber unser Netzwerk. Wir arbeiten zum Beispiel mit kantonalen Hauseigentümer- und Gewerbeverbänden zusammen, die ähnliche Ziele verfolgen wie wir.
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